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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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»Polizisten sind keine Mörder.«
    »Warum sollte de Koop einer sein?«
    »Warum Hauptkommissar Czernyk?«
    Ein Rauschen. Der Inhalt der Herrentoilette strömte durch das Fallrohr.
    »Scheiße«, knurrte Zorn.
    »Im wahrsten Sinne des Wortes, Chef.«
    *
    Die Diskussion sollte noch eine Weile dauern. Stur wie ein Maulochse beharrte Zorn auf seinen Anschuldigungen gegen Jan Czernyk, Schröder argumentierte dagegen, sachlich und emotionslos. Zwei Stunden später waren sie sich immerhin einig, dass sowohl Czernyk als auch de Koop als Täter in Frage kamen.
    Bald sollte sich herausstellen, dass alles anders war.
    *
    Ich muss noch etwas erledigen. Du wirst mir dabei helfen müssen, Frieda. Und du wirst Angst vor mir haben, ich hätte nie gedacht, dass das jemals passieren würde. Es wird sich nicht umgehen lassen, ich kann es nicht ändern. Aber einmal muss Schluss sein, ich kann einfach nicht tatenlos herumsitzen. Ich kann nicht.
    Czernyk schlang die Decke enger um die Schultern.
    Es tut mir leid.
    Er legte den Stift zur Seite und hauchte in die geröteten Hände. Sein Atem verlor sich als feiner Nebel unter der kuppelförmigen Decke. Er klappte das Notizbuch zu, wischte mit dem Mantelärmel den Staub vom Einband, dabei stieß er mit dem Ellbogen gegen die Flasche. Sie kippte um, rollte von der Tischplatte und zerbrach auf dem Boden. Ein paar Tropfen der bernsteinfarbenen Flüssigkeit versickerten im schmutzigen Beton. Achtlos schob er die Scherben mit dem Fuß fort, er hatte die Flasche bereits so gut wie geleert.
    »Mein Gott«, flüsterte Czernyk. »Ich bin ein Verbrecher.«
    Draußen wurde es dunkel.

Einundzwanzig
    Die Trauerfeier für die Opfer des Polizeiballs fand in der Marktkirche statt. Zunächst hatte Zorn sich gesträubt, überhaupt mitzugehen, doch Schröder duldete keinen Widerspruch.
    »Du kommst mit«, hatte er gesagt. »Es sind unsere Kollegen, die da gestorben sind.«
    Kurz vor siebzehn Uhr war der Innenraum bis auf den letzten Platz besetzt. Zorn wollte sich nach hinten unter die Empore mogeln, Schröder griff seinen Arm und zog ihn schnurstracks in Richtung Altar. Im Näherkommen entdeckte Zorn in der vierten Reihe direkt am Mittelgang zwei leere Stühle.
    »Ich habe uns Plätze freihalten lassen«, flüsterte Schröder.
    »Astrein«, seufzte Zorn und sank resigniert auf den Hosenboden.
    Acht geschlossene Särge waren vor dem Altar aufgereiht, umgeben von einem Meer aus Blumen, Kränzen und weißen Kerzen. Links, auf einem kleinen Podest, saßen die Musiker eines Streichquartetts. Dahinter standen Fotos der Toten auf hölzernen Staffeleien, in der Mitte sah Zorn ein Portrait von Wachtmeister Kusch, er war noch jung auf dem Bild, die Uniformmütze hatte er verwegen in die Stirn geschoben, wahrscheinlich war das Foto kurz nach seinem Eintritt in den Polizeidienst aufgenommen.
    Die Särge waren gleich groß, Zorn ertappte sich bei dem Gedanken, in welchem der Wachtmeister wohl liegen würde und ob eine solche Kiste überhaupt genug Platz für Kuschs riesigen Körper bieten konnte. Das, bemerkte Zorn sofort, waren reichlich unpassende Überlegungen. Um sich abzulenken, ließ er den Blick durch das Kirchenschiff schweifen.
    Es waren hunderte Menschen, die unter der gotischen Decke versammelt sein mussten, trotzdem war es still, bis auf ein gelegentliches Husten, das Rücken eines Stuhls oder das leise Weinen einer Frau. Hinten, auf der Empore, saßen die Angehörigen der Toten, ihre verweinten Gesichter leuchteten unter der riesigen, mit vergoldeten Schnitzereien verzierten Orgel.
    Zorn erkannte Elias de Koop, er war zwei Reihen hinter ihnen in ein Gesangsbuch vertieft. Auf der anderen Seite des Mittelgangs saßen ein paar Kollegen vom Erkennungsdienst, weiter vorn Frieda Borck, sie war blass, die Augen starr auf den Altar gerichtet.
    Zorn spürte, wie die Müdigkeit mit Macht zurückkehrte. Er riss die Augen auf, tat, als würde er sich an der Nase kratzen und gähnte ausgiebig hinter der vorgehaltenen Hand.
    Das Streichquartett begann zu spielen. Zorn erkannte die staccatoähnlichen Anfangsklänge des Ave Maria und spürte sofort eine geradezu körperliche Abneigung, er mochte diesen süßlichen Kram nicht, genauso wenig wie große Menschenansammlungen, Kirchen und Beerdigungen. Dann, als die erste Geige einsetzte und die getragene, unendlich traurige Melodie begann, änderte sich alles, urplötzlich, als würde ein Schalter in seinem Kopf einrasten. Das, was er als süßlich empfunden hatte,

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