Zornesblind
noch nicht im Haus.«
»Eigentlich suche ich Lexa Ostermann.«
Das Lächeln auf dem Gesicht der Frau verlor sich. »Mrs. Ostermann ist auch noch nicht da. Sie praktiziert für gewöhnlich erst nachmittags.«
»So, wie Sie das sagen, klingt das fast erleichtert«, tippte Striker. Als die Frau ertappt schwieg, fuhr er mit gesenkter Stimme fort: »Ist schon okay. Ich hab zweimal mit ihr zu tun gehabt – und das war für mein Empfinden einmal zu viel. Aber Dienst ist Dienst.«
Die Rezeptionistin lachte weich. »Ja, Mrs. Ostermann kann schon mal ein bisschen … anstrengend sein.«
»Mrs. Ostermann ist zum Abgewöhnen«, versetzte Felicia brüsk.
Die Rezeptionistin lachte wieder.
»Demnach war sie heute noch nicht hier?«, hakte Striker nach.
»Nein. Sie kommt um Punkt eins. Danach können Sie die Uhr stellen. Mrs. Ostermann legt großen Wert auf Pünktlichkeit. Auch bei den Gruppentherapien. Wenn da einer bloß eine Minute zu spät kommt, wirft sie ihn eiskalt raus.«
»Welche Therapien betreut sie?«, wollte Felicia wissen.
»Oh, eigentlich alle. Aber meistens die SILC -Gruppen – kennen Sie das Programm?«
»Ja«, antwortete Striker. »Spricht sie das vorher mit Dr. Ostermann ab, wenn sie seine Patienten nach Hause schickt? Ich meine, es sind immerhin seine Sitzungen, oder?«
»Das stimmt, aber Mrs. Ostermann springt öfter für ihn ein.«
Striker merkte auf. »Sie springt öfter für ihn ein? Eine Krankenschwester übernimmt die Therapien eines qualifizierten Psychotherapeuten?«
Ein Ausdruck von Bestürzung schlich sich in die Miene der Frau, als hätte sie Angst, zu viel gesagt zu haben. »Vielleicht sollte ich nicht …«
»Hey, ist okay«, beruhigte Striker sie. »Das bleibt selbstverständlich alles unter uns, versprochen. Ich finde es bloß ungewöhnlich.«
»Wie gesagt, Mrs. Ostermann ist sehr kompetent. Sie hat dafür wohl die entsprechende Ausbildung.«
»Was denn für eine Ausbildung?«, hakte Felicia nach.
»Da bin ich überfragt. Ich weiß bloß, dass sie ihren Abschluss irgendwo in Europa gemacht hat. Sie spricht nie darüber. Sie ist sowieso nicht der Typ, der viel erzählt. Schon gar nicht kleinen Angestellten wie mir.«
»Wo in Europa?«, bohrte Striker.
»In Tschechien.«
Er nickte. »Woher wissen Sie das so genau, wenn sie nie darüber gesprochen hat?«
»Herr Dr. Ostermann erwähnte es einmal. Ist schon länger her. Vor einem Jahr oder so.«
Striker stützte sich betont lässig mit dem Arm auf den Empfangstresen. »Interessant. Und Sie haben sich das gemerkt?«
Die Frau nickte versonnen. »Ja, so was behält man einfach. Dr. Ostermann diskutierte mit Dr. Richter darüber, welche Therapien aus Europa übernommen werden könnten. Im Verlauf des Gesprächs erwähnte er, dass Mrs. Ostermann in Tschechien aufgewachsen sei und Probleme hätte, ihren Universitätsabschluss anerkannt zu bekommen.«
»An welcher Universität?«
»Karls-Universität, glaube ich. Ich kann Ihnen aber nicht mehr sagen, wo die ist.«
»In Prag«, erklärte Striker.
»Was war dann?«, drängte seine Kollegin.
Die Frau wurde rot. »Oh, Mrs. Ostermann ist ausgerastet. Sie war sehr wütend. Ich hatte sie noch nie so … wütend erlebt – sie ist sonst eine sehr zurückhaltende Person, na, Sie wissen schon.«
Striker nickte.
Zurückhaltend, dachte er für sich. Und voller Geheimnisse.
Er nahm eine seiner Visitenkarten und notierte seine Handynummer auf der Rückseite. Er schob die Karte über den Tresen und sah die Empfangsschwester dabei eindringlich an. »Sollten Lexa oder ihre Kinder hier auftauchen, müssen Sie das Gebäude sofort verlassen. Haben Sie mich verstanden, Pam?«
»Ich? Das Gebäude verlassen?«, stammelte die Frau etwas verstört.
»Sofort«, wiederholte er. »Lassen Sie sich irgendeinen Vorwand einfallen. Dass Sie nach einem Patienten schauen müssen oder so. Und dann verlassen Sie so schnell wie möglich das Gebäude und rufen mich dann sofort auf dem Handy an. Haben wir uns verstanden?«
Die Frau nickte langsam.
»Und wenn Dr. Ostermann herkommt?«
Striker grinste schmal.
»Dann kann Ihnen meine Nummer auch nicht mehr helfen.«
83
Nachdem sie der Rezeptionistin Ostermanns Selbstmord schonend mitgeteilt hatten und dass seine Familie seitdem spurlos verschwunden war, verlangten die beiden Detectives Zutritt zu Lexas Büro.
Die tief bestürzte Empfangsschwester nickte benommen. Sie öffnete ein Schubfach und angelte nach einem Schlüssel. »Sie schließt immer ab«,
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