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Zornesblind

Zornesblind

Titel: Zornesblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Slater
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schlang von hinten die Arme um seinen Körper und ließ ihn erschrocken los. »Puh, bist du kalt. Komm rein. Später sorge ich dafür, dass dir warm wird.«
    Er drehte sich wortlos um und folgte ihr zum Haus. Bevor er hineinging, hielt er inne.
    Überlegte fieberhaft.
    Er bückte sich, nahm die DVD aus seiner Jackentasche. Es war Disk 1, die einzige Kopie, die er noch hatte und die ihm wirklich etwas bedeutete. Er versteckte sie in der Holzverschalung unter den Verandastufen. Dann stand er auf und strebte in die Wärme des Hauses. Kaum hatte er den Fuß auf den gefliesten Boden gesetzt, schlug ihm der Geruch von grünem Tee entgegen. Und dann stürmte der Doktor in die Küche. Die Augen in dem blassen, angespannten Gesicht blitzten vor Entschlossenheit.
    »Es wird Zeit – du Idiot«, sagte sie.
    Dalia drängte einen Schritt vor. »Mutter, bitte!«
    »Geh in dein Zimmer, Mädchen.«
    »Aber Mutter …«
    »In dein Zimmer, hab ich gesagt.«
    Lexa Ostermann holte mit der Hand aus und verpasste dem Mädchen eine schallende Ohrfeige. Dalia zuckte zusammen und hielt sich die schmerzende Wange. Schluchzend floh sie aus der Küche und stürmte die Stufen in den ersten Stock hinauf.
    Die Natter sah ihr schweigend nach. Er fühlte ein eigenartiges Prickeln unter der Kopfhaut. In seinem Herzen. Seinem ganzen Körper.
    Ihm war nicht wohl dabei.
    »Du bist ein Idiot«, wiederholte Lexa. »Du hast alles zerstört. Jahrelange Arbeit, ruiniert. Unsere Familie, zerstört!«
    »Ich hab nichts gemacht.«
    »Deine Videos «, fuhr sie fort, ihre Stimme eisig. »Die haben alles ins Rollen gebracht. Dein Vater ist tot. Jetzt jagt uns die Polizei. Wie Tiere, Gabriel. Wie Tiere!«
    Er blieb stumm, und sein Schweigen schien sie noch wütender zu machen.
    »Raus. Sofort.«
    Er blickte durch die Glasschiebetür. »Dafür gibt es überhaupt keinen Grund.«
    »Du kennst die Regeln.«
    »Aber hier ist kein Brunnen«, entgegnete er, dann sah er den See.
    »Raus«, wiederholte Lexa. »Ich wiederhole mich ungern.«
    Eine kleine Pause schloss sich an, dann nickte er versonnen und ging durch die Tür. Draußen schlug ihm der kalte Wind entgegen, schnitt ihm unangenehm ins Gesicht, dass seine Haut und seine Augen brannten. Er lief über die glitschige Holzveranda, die Stufen hinunter und durch den kleinen Garten. Das gefrorene Gras knirschte unter seinen Füßen. Dann war er am Ufer des Sees. Lange verdrängte Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an William.
    Er konnte es nicht ertragen.
    »Zieh deine Sachen aus«, befahl der Doktor.
    Mechanisch befolgte er die Anweisungen, dann faltete er ordentlich seine Kleidung und legte sie auf einem Stapel zusammen. Schuhe, Hose, dann das Hemd. Als er nackt war und der Winterwind sich wie Eisnadeln in seinen Körper bohrte, trat der Doktor näher.
    »Los, ab in den See.«
    Wortlos lief die Natter weiter, bis seine Fußsohlen das dünne Eis des Sees spürten. Als es knackte und unter seinem Gewicht brach, schwoll das Lachen in seinen Ohren an. Plötzlich sah er William vor sich: ein kleiner Junge, der lachend über den zugefrorenen See lief.
    Er hielt in der Bewegung inne.
    »In den See«, wiederholte der Doktor.
    Die Natter reagierte nicht.
    »Ich befehle dir, in den See zu steigen.«
    Die Natter schwenkte herum. Fixierte sie.
    »Nein«, erwiderte er. »Ich mach das nie wieder.« Und zum ersten Mal in seiner Erinnerung – zum ersten Mal seit Williams Tod – fühlte die Natter sich lebendig und hellwach.
    Das Gesicht des Doktors nahm einen schockierten Ausdruck an, dann nickte sie langsam. »Ich wusste immer, dass es irgendwann so weit kommen würde, Gabriel. Okay, auch gut. Du hast die Vergangenheit hinter dir gelassen. Nimm deine Sachen und komm mit mir ins Haus. Wir haben einiges zu besprechen.«
    Die Natter nickte. Er bückte sich, um seine Sachen aufzuheben, und bemerkte plötzlich eine Bewegung hinter sich. Er drehte sich um, war aber nicht schnell genug. Er spürte ein schmerzhaftes Bohren in seinem Nacken, da wusste er, dass die Nadel zugestochen hatte.
    Er stolperte verdutzt nach hinten, fühlte ein seltsames heißes Kribbeln, das von seinem Nacken über beide Arme kroch. Das Kribbeln durchflutete seinen Körper, in die Beine, in den Kopf – warm und betäubend. Fast augenblicklich entspannte sich seine Muskulatur, und er konnte sich nicht mehr aufrecht halten. Seine Beine zitterten, gaben unter ihm nach, und er brach am Rand des Sees zusammen.
    Ein hässliches Geräusch durchschnitt die Luft. Das

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