Zornesblind
erklärte sie auf dem Weg durch die langen Flure. Als sie in den Ostflügel einbogen, standen sie plötzlich vor einer dunkelroten Tür. »Das ist das Büro von Mrs. Ostermann. Sie wollte unbedingt ein Büro im Ostflügel, die meisten anderen Ärzte sind im Westflügel untergebracht.«
»Ich wusste gar nicht, dass das Klinikum so groß ist«, bemerkte Felicia.
»Ist es auch nicht«, versetzte die Schwester. »Es ist bloß ziemlich verbaut.« Sie schloss die Tür auf. Bevor sie beiseitetrat, musterte sie Striker mit einem harten Blick. »Bitte … lassen Sie mich wissen, wenn Sie irgendetwas mitnehmen müssen. Ich muss mir das zumindest notieren.«
»Natürlich, Pam«, versicherte der Ermittler. »Sind Sie schon mal hier drin gewesen?«
Pam schüttelte den Kopf. »Nein, keiner von uns, auch die Ärzte nicht. Wie ich schon sagte, Mrs. Ostermann ist eine sehr zurückgezogene Person. Sie schließt immer ab, und ich bin sicher, sie würde mich auf der Stelle feuern, wenn sie mich hier drin erwischen würde – egal aus welchem Grund.«
Striker nickte. Er verabschiedete sich von Pam. Dann winkte er Felicia in das Büro und schloss die Tür hinter ihnen. Sein Blick schweifte durch das Zimmer.
Es war sehr steril und äußerst sparsam möbliert. Ein edler Schreibtisch aus dunklem Walnussholz, ein antikroter Ledersessel und ein Computerterminal. Keine Pflanzen, keine Blumen. An den Wänden hingen weder Bilder noch ein Diplom oder Familienfotos.
»Das ist Minimalismus in Vollendung«, meinte Felicia spitz.
Striker trat zum Schreibtisch und öffnete beide Schubfächer. Es war nicht viel drin, nur ein paar Büroartikel und ein paar Aktenmappen. Striker las jede einzelne sorgfältig durch. Es handelte sich um Patientenakten, die Namen sagten ihm jedoch nichts. Er notierte sich die Namen für eine spätere Datenbankabfrage.
Dann inspizierte er den Computer. Der Bildschirm war dunkel, sobald er jedoch die Maus bewegte, verschwand der Bildschirmschoner. Kein Passwort, um sich einzuloggen. Er war direkt im System. Striker startete den Browser. Er fand nichts, keine einzige Datei.
»Ein neuer Computer«, stellte er fest.
»Oder eine Neuinstallierung«, gab Felicia zu bedenken.
Er schaute sich nach einer Sicherungsdiskette um, fand aber keine. Sein Blick glitt über die Regale. Sie waren mit medizinischer und psychologischer Fachliteratur gefüllt. Die Bücher erschienen noch ganz neu und unbenutzt.
Er schlug einen der dicken Wälzer auf und merkte, dass die Rückenbindung leise knackend nachgab. Es waren weder Passagen angestrichen noch Merkzettel zwischen die Seiten geklemmt.
Er blätterte sämtliche Titel durch, fand aber nichts Aufschlussreiches. Seufzend schob er das letzte Buch zurück. Am Ende des Regals stand ein einsamer roter Aktenordner. Er zog ihn heraus. Auf dem Rücken stand: Medizinische Abrechnungsschlüssel. Als er den Ordner öffnete, fiel sein Blick auf die Codeliste. Er zeigte sie Felicia:
10-14141ML-MG900412,
09-29292TIG-SR730128.
So ging es über mehrere Seiten.
»Eigenartig«, bemerkte er. »Wenn es sich um Abrechnungsschlüssel mit dem staatlichen Krankenversicherungsträger handelt, stehen die doch bestimmt auf einer offiziellen Webseite, oder? Warum muss man sich die Mühe machen, die von Hand zu notieren?«
Felicia überflog die Listen. »Was bedeuten die überhaupt? Schau mal, sie sind alle in einem anderen Format.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen«, meinte Striker zerstreut.
»Die meisten Computerprogramme benutzen ähnliche Codes«, erklärte sie. »Nehmen wir als Beispiel mal PRIME . Alles ist in Vier-Digit-Codes unterteilt: 2117 steht für Verdachtsmoment, 2118 für verdächtigte Person, 2119 für verdächtiges Fahrzeug. Sie sind fortlaufend nach einem bestimmten Schema gelistet. Diese Zahlen hier aber nicht. Sie sind alle unterschiedlich, als stammten sie von mehr als einem System.«
Striker überflog die Ziffern und nickte. Felicia hatte Recht. Sie verließen das Büro und nahmen den Ordner mit.
Am Empfang fragte er Pam: »Haben Sie hier zufällig ein Buch mit den Abrechnungscodes der staatlichen Krankenversicherungsträger stehen?«
Pam blinzelte verstört. »Abrechnung mit der staatlichen Krankenversicherung? Nein … nein, das hab ich nicht. Wir brauchen so was nicht.«
»Warum nicht? Wie rechnen Sie denn ab?«
»Hier läuft alles privat. Anders als im Riverglen.«
»Kennen Sie sich zufällig mit diesen Abrechnungssystemen aus?«
Pam nickte. »In der anderen Klinik mache
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