Zornesblind
Das Erste, was er aufschnappte, waren drei Buchstaben in großen roten Lettern.
MHA.
»Mental Health Act?«, fragte er. »Was ist damit?«
Felicia neigte den Kopf seitlich. »Sieht aus, als hätte deine Larisa eine Menge Probleme, seitdem sie die Opferhilfe verlassen hat.«
»Probleme?« Striker nahm den Blick vom Laptop. »Wie meinst du das?«
Felicia klickte sich durch die Computerberichte. »In PRIME ist Larisa Logan mehrfach als geistig verwirrte Person gelistet.«
Striker hob eine Braue. Geistig verwirrte Person war der politisch korrekte Begriff für psychisch durchgeknallt.
»Das muss ein Irrtum sein.«
Felicia las weiter in den Berichten. »Leider nein. Sieht aus, als hätte Larisa ihren Job bei der Opferhilfe vor zwölf Monaten geschmissen und sich eine Auszeit genommen. Vielleicht hatte sie zu viel Stress, keine Ahnung. Das steht hier nicht.«
Striker schloss die Augen und dachte scharf nach. »Vor etwa zwölf Monaten … Kann sein, dass ich da meine letzte Sitzung bei ihr hatte. Vielleicht ist es auch dreizehn Monate her – es war jedenfalls kurz vor Weihnachten. Und dann hat sie Urlaub genommen?«
Felicia grinste breit. »Ja. Lag wohl an deinem umwerfend jungenhaften Charme.«
Statt einer Antwort begann er, sich in die Berichte einzulesen.
Felicia sah sich währenddessen im Zimmer um. Ein paar Minuten später hielt sie ihm einen großen Bogen Papier hin. Mit einer Liste, auf der konfuses und unsinniges Gekritzel stand. Und ein paar Namen.
Zwei Namen fielen Striker spontan auf.
Mandy.
Billy.
Er zeigte darauf. »Das könnte Mandilla Gill sein. Und Billy … Das könnte dieser Patient von Ostermann sein.«
Felicia blickte zweifelnd. »Auf der Liste stehen über dreißig Namen, Jacob. Und jede Menge unleserliches Zeugs. Allerdings könntest du Recht haben, die Namen stimmen.«
Striker überflog das Gekritzel, bis er auf einen weiteren Namen traf, der mehrfach unterstrichen war. Der Name sagte ihm nichts:
Sarah.
Er schrieb den Namen in sein Notizbuch.
Felicia hielt einen Packen Zeitungsausschnitte aus irgendwelchen Boulevardblättern hoch – Klatschgeschichten über alles Mögliche, von Medikamentenpfusch über den Handel mit gefälschten Pässen bis hin zu der Existenz von Aliens und Dämonen. »Grundgütiger, Jacob, schau dir den Mist an! Aliens? Dämonen? Die Frau muss total durch den Wind sein.«
Striker, vertieft in das Computerdokument, erwiderte nichts. Er scrollte durch die gemeldeten Vorfälle. Und das waren einige: Auffälligkeiten im Zusammenhang mit geistiger Verwirrung. Fälle von Belästigung. Und mehrere Anzeigen wegen versuchter Körperverletzung, in denen Larisa als Verdächtige genannt war. Sie konnte von Glück sagen, dass sie nicht im Knast gelandet war.
Das alarmierte ihn.
Eine dieser Anzeigen, es ging um einen Polizeipsychologen, mit dem Larisa bei der Opferhilfe zusammengearbeitet hatte, war zurückgenommen worden. Ein kurzer Hinweis besagte lediglich, dass »mentale Probleme« im Spiel gewesen seien.
Es war deprimierend, nahezu unbegreiflich. Striker schüttelte leicht fassungslos den Kopf.
Er schloss seufzend den Laptop. Larisa Logan. Seine Gesprächstherapeutin, ja, fast so etwas wie eine Freundin. Immerhin hatte sie ihm geholfen, Amandas Tod zu verarbeiten, über das Schlimmste hinwegzukommen. Es konnte nicht stimmen, oder?
Oder doch?
Als er sich schließlich wieder gefasst hatte, sagte er mit harter, kehliger Stimme: »Die Frau hat mir durch die dunkelsten Stunden meines Lebens geholfen. Jetzt muss ich ihr helfen.«
Felicia strich begütigend über seinen Arm. »Sie ist irgendwo da draußen, Jacob. Wir finden sie, ganz bestimmt.«
Striker erwiderte ihr Lächeln nicht. »Das müssen wir. Und zwar so schnell wie möglich.«
»Warum?«
»Denk mal genau nach, Feleesh.« Er senkte seinen Blick in ihren. »Ihre Verbindung zu dem Opfer. Ihre Möglichkeit, an Medikamente ranzukommen. Ihre eigenen psychischen Probleme. Hinzu kommt ihre Gewaltbereitschaft … Ich hasse diesen Gedanken, aber wir müssen auf alles gefasst sein. Damit steht Larisa Logan auf der Liste unserer Hauptverdächtigen.«
»Glaubst du das?«
»Nein, aber es geht nicht darum, was ich glaube . Wir müssen sie finden, sie gehört in professionelle Behandlung. Und wir müssen vor allem dafür sorgen, dass der Verdacht gegen sie entkräftet wird.«
Er lief zur Eingangstür. Draußen war die Nacht kalt und still und dunkel.
Dunkel wie seine schlimmsten Ahnungen.
26
Nicht weit von Larisa
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