Zornesblind

Patienten sind für uns kein Thema. Damit haben wir fast ständig zu tun. Es gibt folglich nichts, weswegen Sie – oder jemand anders – sich Sorgen machen müsste.«
    Striker merkte, wie er mit den Fingern das Lenkrad umkrampfte. »Sie würden vielleicht anders denken, wenn es Ihr Haus wäre, das er gerade abgefackelt hat. Also, in welcher Klinik ist Dr. Ostermann jetzt mit Billy?«
    »Diese Information darf ich nicht weitergeben. Das ist streng vertraulich.«
    Striker reichte es. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich ermittle gerade in einem wichtigen Fall und muss Dr. Ostermann dringend sprechen. Wenn Sie mir nicht augenblicklich sagen, wo er ist, krieg ich Sie wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungsarbeit dran. Es wird mir eine Freude sein, Sie persönlich festzunehmen. Merken Sie sich das. Also, wo zum Henker ist er?«
    Die Sekretärin räusperte sich unschlüssig. »Herr Dr. Ostermann engagiert sich donnerstagsnachmittags für das Even-Health-Programm«, sagte sie gedehnt.
    »Wo?«
    »Ecke Boundary und Adanac.«
    Striker beendete das Gespräch.
    Felicia sah ihn fragend an. »Und«, bohrte sie. »Wo ist der Kerl?«
    »Im Mapleview«, antwortete Striker. Er stellte die Automatik auf Drive, gab Gas und fuhr den Broadway hinunter.
    Die Klinik war keine zwanzig Minuten entfernt.

52
    Die beiden Ermittler jagten über den Broadway. East Pender Street war höchstens fünf Meilen entfernt, und Striker wollte schleunigst zu der besagten Einrichtung. Er war etwa fünf Blocks gefahren, als Sue Rhaemer von der Leitstelle sich über Funk meldete. Striker konnte sich nicht entsinnen, seine Kollegin jemals so hektisch erlebt zu haben. Ihre Stimme überschlug sich fast:
    »An alle Einheiten, an alle Einheiten, Polizist überwältigt. Wiederhole: Ein Polizist wurde überwältigt. Block 3600, East Hastings Street.«
    »Grundgütiger«, entfuhr es Felicia.
    Striker drückte aufs Gas. Bevor er etwas sagen konnte, meldete sich Road Sergeant Mike Rothschild über Funk.
    »Wer hat das gemeldet?«, wollte er wissen.
    »Wir wissen es aus zweiter Hand, vom Krankenwagen«, antwortete Sue Rhaemer.
    »Welche Einheit ist am nächsten?«
    »Detective Striker, Broadway und Nanaimo«, gab Striker ihre Position durch.
    Kurz darauf meldete sich ein Streifenwagen. »Charlie-21, wir sind an der Hastings und Windermere. Zehn Blocks entfernt.«
    Felicia blickte zu Striker. »Die sind näher dran«, meinte sie halb erleichtert.
    Sergeant Rothschild gab den Einsatzbefehl: »Diese Einheit ist autorisiert, Code 3.« Dann wandte er sich erneut an die Leitstelle: »Welche Einheit begleitet den Krankenwagen?«
    »Alpha-13«, kam es innerhalb von Sekunden, »aber die antworten nicht, und ihr Alarmsystem ist aktiviert.«
    Rothschild: »Wissen Sie etwas über die Art der Verletzung?«
    »Unbekannt«, antwortete Sue. »Wir können die Krankenwagencrew ebenfalls nicht erreichen.«
    Striker schaltete sich abermals zu. »Mike«, begann er. »Sie transportierten Billy Mercury, diesen Kriegsveteran, der vorhin versucht hat, uns abzufackeln.«
    Rothschild verlor keine Zeit. »Sind in Burnaby zufällig Einheiten näher dran?«
    »Burnaby negativ«, kam es von Sue.
    »Wir sind am Zielort eingetroffen«, unterbrach Charlie-21. »Mercury ist entkommen. Ich wiederhole: Mercury ist entkommen.«
    Rothschilds Kehle entfuhr ein frustriertes Ächzen. »Charlie-21, bitte melden, Status updaten, wenn möglich.«
    Die Leitung blieb eine lange Weile stumm, die Sekunden zogen sich wie Kaugummi. Als Charlie-21 sich erneut meldete, klang die Stimme des Kollegen zittrig.
    »Jesus, zwei Sanitäter und zwei Beamte wurden überwältigt. Einem wurde die Dienstwaffe geklaut.«
    »Ich will, dass weitere Einheiten hinfahren«, ordnete Rothschild an.
    Bravo-15 schaltete sich zu: »Wir sind eben am Tatort eingetroffen, Mike. Bravo-73 ist ebenfalls hier.«
    Charlie-21 meldete sich abermals über Funk, und in der Stimme des Kollegen war blankes Entsetzen:
    »Himmel! Beide Cops … beide Sanis … sind tot, sie sind tot. Sie sind alle TOT .«

53
    Striker hämmerte aufs Gas und raste auf der Boundary Street nach Norden. Als sie 1 Avenue passierten, hatte der Ford Taurus glatt hundertvierzig Stundenkilometer auf dem Tacho. Auf der Napier Street – Striker wusste inzwischen, dass sechs Einheiten am Tatort eingetroffen waren – ging er auf die Bremse und fuhr im Schritttempo weiter. Am Ende der Straße flammten die blauen und roten Signalleuchten der Polizeiwagen