Zorngebete
Armen reich werden wollen. Sie ist schön. Sie ist selbstsicher. Sie ist beneidenswert. Sie ist gepflegt, gut angezogen, gut geschminkt und jedes Detail ist durchdacht. Sie hat keine Zeit, uns zu sehen, sie wirkt sehr beschäftigt. Ihr eigentliches Problem ist aber im Augenblick, dass bei dem Abendessen, das sie heute veranstaltet, zwei zerstrittene Freundinnen nebeneinander sitzen, deren Ehemänner einen Deal miteinander machen müssen. Das ist aber nicht weiter schlimm, sie ist so was von schön. Wie eine Französin …
– Du bist die Neue?
– Ja, Lalla.
– Komm mal mit, ich zeige dir … Hallo …
Ich folge ihr.
– 20 Uhr 30, meine Liebe, und wehe, wenn du etwas mitbringst, dann bringe ich dich um, ich schwör ’s! Bis heute Abend, Küsschen …
Sie legt auf.
– Aber aufgepasst! Die Letzte habe ich rausgeschmissen, weil sie mit dem Gärtner von nebenan herumpoussiert hat, so etwas gibt es bei mir nicht.
– Ja, Lalla.
Die Herrin führt mich in den Garten, wo es vor Leuten nur so wimmelt. Da gibt ’s nichts, der ist wirklich schön. Jetzt weiß ich, dass es im Leben noch Schöneres gibt als den Raïbi Jamila, Reichsein, ganz einfach.
Verfluchtes Tafafilt!
Keine Zeit, über meine Scheiße nachzudenken, ich muss die der anderen wegräumen.
– Das sind meine Töchter. Das ist Lalla Najwa und das ist Lalla Malika. Das ist Sidi Mohamed, mein Sohn.
Keiner würdigt mich eines Blickes. Macht nichts, ich bin es gewohnt, nicht zu existieren. Die Mädchen spielen mit ihren Handys und brechen ständig in schallendes Gelächter aus, wie die Verrückten. Die Jungen spielen im Swimmingpool, sie tauchen sich gegenseitig unter und werfen sich Schimpfworte wie »Bastard« und »Blödmann« an den Kopf.
– Scheiße, wann gibt es Essen?!
Das ist Sidi Mohamed, der Hunger hat.
Ich räume die Rosé-Gläser, die Zigarettenpackungen und die Aschenbecher weg. Ich wische den Tisch ab, während Latifa, die Nette, Salate und Fleischspieße aufträgt, gefolgt von der Dicken mit den Getränken. Allen läuft der Schweiß herunter. Die Herrin hat sich umgezogen. Sie hat ihren Badeanzug an, mit einem passenden Pareo um die Hüften. Immerhin ist sie eine Mutter. Aber sie hat eine bessere Figur als ihre Töchter. Also versteckt sie, nur um die Form zu wahren, ihren kleinen sexy Hintern. Klammheimlich werfen ihr die Freunde ihres Sohnes Blicke zu, ich sehe sie und sie sieht sie, ebenso klammheimlich …
Ich bleibe nicht bei ihnen, aber in Sichtweite. Ich bin auf der Hut. Wie das zugeht bei den Reichen! Die Kinder beschimpfen ihre Freunde, und die Mutter lästert über ihre Freundinnen, bezeichnet sie als ausrangierte Flugbegleiterinnen oder unterstellt, dass sie Modeschmuck tragen oder über ihre Verhältnisse leben oder dass ihre Kinder zurückgeblieben sind. Solche Sachen. Trotzdem sind alle heute Abend eingeladen.
Ich mag Lalla Nawja ganz gern, sie ist die Jüngste und Verständigste. Vor allem aber hat sie »Leck mich am Arsch!« zu ihrem Bruder Sidi Mohamed gesagt, und weil ich glaube, dass ich sehr oft Lust haben werde, ihm dasselbe zu sagen, habe ich es mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen. Manchmal, wenn wir uns auf den Fluren begegnen, schenkt sie mir ein kleines Lächeln. Einmal hat sie mich gebeten, ihr in ihrem Badezimmer den Rücken zu waschen und danach hat sie »Danke!« gesagt. Und sie hat mir eine Schmetterlingshaarspange gegeben.
Trotz allem bleibt sie aber eine Reiche. Sie hat solche Allüren mitunter. Das tut sie nicht mit Absicht, es ist einfach so, es muss in ihrem genetischen Code eingeschrieben sein. Die Reichen sehen uns nicht. Sidi Slimane, der Papa, zum Beispiel, hat mich nie zur Kenntnis genommen. Er spricht nicht mit mir. Nicht weil er mich nicht mag, glaube ich. Man könnte sagen, ihm geht ständig etwas durch den Kopf, Dinge von höchster Wichtigkeit. Für ihn bin ich eine Ameise, wie die tausend anderen, die er auf dem Weg ins Büro jeden Tag tottritt. Denn Sidi, der hat keine Zeit, auf dem gepflasterten Weg zu gehen, der geht quer über den Rasen.
Es ist vier Uhr morgens, und ich schlafe. Ich glaube, ich habe friedlich vor mich hingeträumt, als in meinem Zimmer auf einmal ein entsetzliches Klingeln ertönt. Ich stehe auf. Zum Teufel. Die lieben Kleinen sind nach Hause gekommen. Es ist Samstag, diese Wichser waren im La Calypso, und das La Calypso macht hungrig. Heute Abend ist es mir egal, ich spucke ihnen ins Essen.
Besoffen hängen sie alle auf den Sofas herum. Lalla Malika will
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