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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Heymann
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Worte nicht schockieren, oder? Ich tue schreckliche Dinge, und ich höre nicht auf damit, mich Dir anzuvertrauen. Dir, dem Reinen. Das ist aber logisch, es gibt nur einen Reinen, der eine Unreine wie mich anleiten kann. Ich spreche zu Dir, wie es kommt, aber ich respektiere Dich. Das weißt du.
    Jetzt habe ich Lust zu weinen.

Am nächsten Tag fürchte ich mich davor, Sidi Mohamed zu begegnen. Er hat mich immerhin ein bisschen vergewaltigt. Er nimmt sein Frühstück am Rande des Swimmingpools ein. Es ist 16 Uhr. Er sieht mich nicht an, aber nicht so als ob es ihm peinlich sei, eher so als existierte ich gar nicht. Als ob das, was er mir am Abend vorher angetan hatte, nichts sei, da ich ja selbst ein Nichts bin. Und einem Nichts kann man nichts Böses antun.
    Ich habe sein Sperma zwischen meinen Schenkeln immer noch nicht richtig abgewaschen. Es fehlt mir noch an gewissen Automatismen in Sachen Hygiene. Ich bade einmal pro Woche im öffentlichen
hammam
, wenn ich es schaffe. Manchmal alle zehn Tage, okay. Die Lallas nehmen eine Dusche pro Tag und sie riechen wirklich gut. Sie waschen sich auch nicht mit schäbiger Seife, sie waschen sich mit einem Gel aus Flaschen in allen möglichen Farben mit nackten Frauen drauf, die im Dschungel duschen, und mit Kokosmilch statt mit Wasser.
    Durch diese Flakons habe ich Lust bekommen, mich häufiger zu waschen. Ich habe immer eine besondere Beziehung zur Werbung gehabt. Ich spüre, dass ich lebe, wenn ich etwas besitze, was im Fernsehen kommt. Ab und zu klaue ich Lalla Najwa ein bisschen Mandelöl- oder Granatapfel-Duschgel, und dann wasche ich mich mit dem Rinnsal rostigen Wassers in meinem Zimmer. Nicht Sidi Mohamed ist das Problem, der ist ein Idiot und wird es sein Leben lang bleiben, nein, das Problem ist, dass Leute wie ich auf der untersten Stufe der Menschheit stehen, dass wir nicht den geringsten Wert haben. Wenn wir sterben, ändert sich nichts. Niemand wird mir hinterherweinen, niemand wird fragen, was aus mir geworden ist, niemandem werde ich in Erinnerung bleiben. Es ist schrecklich, niemandem in Erinnerung zu bleiben. Ich müsste versuchen, mich auf irgendein Familienfoto zu schmuggeln, als ob nichts wäre … damit ich wenigstens irgendwo erscheine. Selbst wenn es nur im Hintergrund wäre, beim Tischabräumen. Ich bin noch nie fotografiert worden.
    Ach ja, einmal, von den amerikanischen Touristen, die mit der weißen Fahne zu uns gekommen sind. Aber mein Foto hat bestimmt keinen Platz auf dem Kamin ihrer Villa gefunden. Vielleicht holen sie es ab und zu raus, um ihren Freunden zu zeigen, was für große Abenteurer sie sind und wie schön ich doch bin für eine arme Wüstenbewohnerin. Sie werden aber hinzufügen »Trotzdem, wie die gestunken hat …«
    Das Problem ist, wenn man nie eine Bedeutung gehabt hat, hat man auch nichts zu verlieren. Ich bin aber da, verdammt! Ich atme, ich habe Empfindungen, ich sehe, ich bin jemand, verflixt nochmal! Nein, ich bin nichts, nicht mal ein Dienstmädchen. Morgen wird eine andere meinen Platz einnehmen, ohne mein Bettzeug zu wechseln.
    Sidi Mohamed verlangt seinen Pfefferminztee, ohne die Augen von der Zeitung zu heben. Ich hätte es gern, dass man mir in die Augen sieht, wenn man bei mir einen Tee oder ein Kissen bestellt. Dann spüre ich wenigstens, dass die Bestellung an mich gerichtet ist und dass
ich
den Tee oder das Kissen bringen soll. Ich bin dafür da, einen Tee oder ein Kissen zu bringen, und das ist doch etwas. Man sieht mir aber nie in die Augen. Selbst wenn er mich vögelt, sieht er mich nicht an. Also bringe ich ihm seinen Tee, dem Sidi, und vergesse, was er getan hat, weil ein Nichts nun einmal nicht denkt.
    – Jbara! Jbara! Jbara!
    Manchmal benutzen sie ihren Mund, manchmal eine Glocke. Heute ruft Lalla Malika nach mir, um mich um ihre Glocke zu bitten. Das ist witzig.
    Während der ganzen Zeit habe ich Ersparnisse angesammelt, fast 1500 Dinar. Abdelatif hat sich freigenommen, er will seine Familie besuchen, und sein Bus kommt in der Nähe meiner Familie vorbei. Was für ein Zufall. Abdelatif ist freundlich, ernsthaft und fleißig. Er tut mir immer wieder Gefallen, und gelegentlich lächelt er mir aufrichtig zu. Was ich erwidere.
    Ich gebe ihm die 1500 Dinar und ein paar kleine Plastikroboter und -püppchen für meine Brüder und Schwestern. Und ein Tuch mit einem Leoparden drauf. Es ist fast wie aus Seide. Jedenfalls legen es sich die schicken Frauen um den Hals, nicht um den Kopf. Meine Mutter wird es

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