Zu cool für dich
ehesten etwas Schwarzes anziehen, das schlank macht. Dazu was Ausgeschnittenes. Und saubere Unterwäsche.«
»Das ziehst du doch jeden Abend an.«
»Heute ist ja auch wie jeder Abend.« Ich wusste, dass irgendwo im Schrank eine rote Bluse herumschwirrte, die zu meinen Lieblingsklamotten gehörte, aber bei den anderen Blusen und Hemden fand ich sie nicht. Was bedeutete, dass irgendwer an meinem Schrank gewesen war und darin rumgewühlt hatte.
Mein Kleiderschrank ist wie alles bei mir: sauber und ordentlich. In den Wohnungen meiner Mutter hatte immer das totale Chaos geherrscht; deswegen war mein Zimmer – der einzige Ort, den ich so gestalten konnte, wie ich wollte – perfekt durchorganisiert. Alles an seinem Platz, damit ich es leicht wiederfand. Okay, vielleichtwar ich ein bisschen zwanghaft. Na und? Zumindest war ich keine Schlampe.
»Für Jonathan nicht.« Auf meinen fragenden Blick hin fuhr sie fort: »Für ihn ist heute ein besonderer Abend. Er wird abserviert. Und er weiß es bisher nicht einmal. Er isst wahrscheinlich gerade einen Cheeseburger oder putzt sich die Zähne oder holt Klamotten aus der Reinigung und hat keinen Schimmer. Nicht die geringste Ahnung.«
Ich gab es auf, weiter nach der roten Bluse zu suchen, und zog stattdessen ein Tanktop aus dem Schrank. Was sollte ich dazu noch sagen? Klar, abserviert zu werden war ätzend. Aber wenn es schon sein musste – war schonungslose Ehrlichkeit dann nicht besser? Es war doch viel fairer, unumwunden zuzugeben, dass die Gefühle einfach nicht stark genug waren und auch nie sein würden. Weswegen es auch fairer war, die Zeit des anderen nicht weiter in Anspruch zu nehmen. Im Prinzip tat ich ihm also einen Gefallen. Gab ihn frei, damit er eine Chance auf was Besseres bekam. Wirklich, wenn man drüber nachdachte, war ich glatt eine Heilige.
Als wir eine halbe Stunde später bei
Quik Zip
, unserer Lieblingstankstelle, eintrudelten, wartete Jess bereits auf uns. Chloe kam wie üblich zu spät.
»Hi«, begrüßte ich Jess, während ich auf sie zuschlenderte. Sie lehnte an ihrem Schiff von Auto, einem alten Chevy mit durchhängender Stoßstange, und nuckelte an einer extragroßen Cola – unserer bevorzugten Lieblingsdroge. Bei
Quik Zip
kostete der extragroße Becher einen Dollar neunundfünfzig, war damit der beste Deal in der ganzen Stadt und außerdem sehr vielfältig einsetzbar.
»Ich hol mir ein paar Smarties«, rief Lissa, die gerade ihre Wagentür zuschlug. »Will irgendwer irgendwas?«
»Cola light«, rief ich zurück und fischte nach meiner Geldbörse, doch sie winkte ab, schon fast im Laden. »Extragroß!«, setzte ich hinzu.
Sie nickte, dann schwang die Tür hinter ihr zu. Die Hände lässig in die Taschen gesteckt ging sie schnurstracks zu dem Regal mit Süßigkeiten – ach was, sie hüpfte vor lauter Vorfreude. Lissa war verrückt nach Süßigkeiten und eine berühmt-berüchtigte Expertin auf dem Gebiet; sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der den Unterschied zwischen Rosinen mit Schokoüberzug und Schokorosinen schmeckte. Ja, doch, es gibt einen Unterschied.
»Wo ist Chloe?«, fragte ich. Jess nahm nicht mal den Strohhalm aus dem Mund und zuckte statt zu antworten bloß die Achseln.
»Sagten wir nicht pünktlich um sechs?«, fragte ich weiter.
»Entspann dich, du kleine Zwangsneurotikerin«, meinte Jess trocken und schüttelte ihren Becher, so dass die Eisstückchen geräuschvoll in dem Colarest herumplatschten. »Es ist gerade mal sechs.«
Seufzend lehnte ich mich neben sie an den Wagen. Ich hasse Unpünktlichkeit. Chloe verspätete sich grundsätzlich, mindestens um fünf Minuten. Und das an einem guten Tag. Lissa kam in der Regel zu früh, und Jess war Jess: zuverlässig, der Fels in der Brandung, immer auf die Minute pünktlich. Seit dem fünften Schuljahr war sie meine beste Freundin und der einzige Mensch, auf den ich mich wirklich verlassen konnte.
Wir lernten uns kennen, weil wir dank Mrs Douglas’alphabetischer Sitzordnung an benachbarten Tischen landeten: Erst kam Nasenpopler Mike Schemen, dann Jess, dann ich und auf meiner anderen Seite Adam Struck, der immer so röchelte. Allein wegen der Umzingelung durch dieses Horrorpärchen waren wir quasi gezwungen beste Freundinnen zu werden. Schon damals war Jess eine stattliche Erscheinung. Nicht dick – genauso wenig, wie sie heute dick ist –, sondern einfach groß, breit, stämmig, mit schweren Knochen. Sie überragte sämtliche Jungen in unserer
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