Zu cool für dich
Dexter.
Lucas schlug die Beine übereinander. »Hängt davon ab, ob du einen echten oder falschen Reim meinst.«
Dexter starrte ihn an. »Falscher Reim?«
»Ein echter Reim auf
Mädchen
wäre
Tomätchen
«, begann Lucas in dem Oberlehrerton zu erklären, den ich bereits an ihm kannte. »Aber man könnte auch einfach ein
-chen
an völlig andere Wörter anhängen, so dass es sich halbwegs reimt, auch wenn das grammatikalisch falsch ist. Zum Beispiel
blöd-chen
. Oder
adrett-chen
.«
»Du bist so überhaupt nicht blöd-chen«,
sang Dexter,
»und ich liebe nur dich, Potato-Mädchen.«
Schweigen. Ted schlug einen weiteren Akkord an, stimmte dann eine Saite nach.
»Noch nicht das Nonplusultra«, meinte Lucas. »Aber ich denke, es geht in die richtige Richtung.«
»Könnt ihr nicht endlich die Klappe halten?«, stöhn te John Miller, der sein Gesicht im Sofapolster vergraben hatte. »Ich versuche zu schlafen.«
»Es ist zwei Uhr nachmittags und wir sind hier in einer Küche«, erwiderte Ted. »Entweder du verziehst dich woanders hin oder du hörst auf rumzumosern.«
»Immer mit der Ruhe, Jungs«, meinte Dexter.
Ted seufzte. »Leute, wir müssen uns konzentrieren. Ich will, dass wir das
Kartoffel-Opus
bis zu dem Gig nächste Woche in trockenen Tüchern haben.«
»
Kartoffel-Opus?
So heißt der Song jetzt?«, fragte Lucas.
»Fällt dir was Besseres ein?«
Lucas schwieg einen Moment. »Nein«, antwortete er schließlich. »Bestimmt nicht.«
»Dann halt die Klappe.« Ted nahm die Gitarre wieder in die Hand. »Von Anfang an, erste Strophe, aber mit Gefühl, bitte.«
Und weiter ging’s. Wieder ein Tag im gelben Haus, wo ich seit kurzem ziemlich viel Zeit verbrachte. Nicht, dass es mir dort besonders gut gefallen hätte. Das Haus war von oben bis unten völlig verdreckt. Die vier Kerle, die darin wohnten, hatten nämlich noch nie offiziell Bekanntschaft mit Putzmitteln gemacht. Im Kühlschrank moderten Essensreste vor sich hin, auf den Fliesen in der Dusche wucherte schwärzlicher Schimmel, irgendetwas unter der hinteren Veranda roch speziell pikant. Bloß in Dexters Zimmer sah es halbwegs anständigaus, und das auch nur, weil ich sonst wirklich an meine Grenzen gekommen wäre. Wenn ich wieder einmal schmutzige Boxershorts unter einem Sofakissen fand oder mühsam die Fruchtfliegen abwehren musste, die Tag und Nacht um den Mülleimer wimmelten, konnte ich mich wenigstens damit trösten, dass Dexters Bett gemacht war, seine CDs in alphabetischer Reihenfolge aufgestapelt waren und der rosenförmige Frischluftstecker unermüdlich arbeitete, um die Luft in seinem Zimmer auf einem erträglichen Geruchslevel zu halten. Ich fand, dass sich die Mühe lohnte. Jedenfalls war das bisschen Arbeit kein allzu hoher Preis dafür, dass ich sonst vor lauter Chaos wahrscheinlich durchgedreht wäre.
Dass das nicht längst passiert war, grenzte ohnehin an ein Wunder; denn auch zu Hause wurden meine Nerven ein wenig überstrapaziert, seit meine Mutter aus den Flitterwochen zurückgekehrt war und ihren neuesten Ehemann mit allem Drum und Dran bei uns installierte. Schon das ganze Frühjahr über waren Handwerker mit Gipswandplatten oder Fensterrahmen quer durch unser Haus getrampelt und hatten auf sämtlichen Fußböden Sägemehlspuren hinterlassen. Sie rissen die Mauer des alten Hobbyraums ein und zogen hinter dem Haus einen Anbau hoch, der eine funkelnagelneue, gigantische Schlafzimmersuite beherbergte, inklusive eingelassenem Marmorbad und den beiden durch farbige Glasbausteine getrennten Waschbecken. In den Anbau zu gehen, den Chris und ich sofort den »Neuen Flügel« tauften, war, als beträte man ein komplett anderes Haus. Doch genau das beabsichtigte meine Mutter auch. Alles passte zusammen – das neue Schlafzimmer, der neue Ehemann, der neue Teppichboden – und alles zusammenwar ihre ureigene Kreation. Ihr perfektes neues Leben. Wir anderen mussten uns erst noch eingewöhnen, aber das war ja auch nichts Neues.
Eines der Probleme war Dons Krempel. Als ehemaliger eingefleischter Junggeselle besaß er ein paar Dinge, an denen sein Herz hing, die jedoch nicht in das ästhe tische Konzept meiner Mutter für den Neuen Flügel passten. Das einzige Teil in ihrem Schlafzimmer, das auch nur ansatzweise Dons Geschmack repräsentierte, war daher ein großer marokkanischer Wandteppich, auf dem biblische Szenen dargestellt waren. Er war nicht nur groß, sondern riesig, und nahm deshalb fast eine gesamte Wand ein; aber weil er
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