Zu feindlichen Ufern - [3]
alle Kameraden schliefen schlecht, stöhnten im Schlaf und wachten oft auf, aufs Neue verzweifelt und ausgelaugt. Da die Zellen in der Zitadelle von Brest tief in den Fels gehauen waren, drang kein Tageslicht bis zu den Gefangenen. Ein übler Geruch hing in der Luft, die Wände waren feucht, und der Schein des einzigen Talglichts, das man jeder Zelle zugestand, reichte nicht bis in die Ecken. Hayden hatte schon gehört, dass manche armen Teufel über Jahrzehnte in solchen Verliesen schmachteten, aber vermutlich war die Realität noch schlimmer. Kaum einer überlebte unter diesen Umständen länger als ein paar Jahre. Krankheiten und Verzweiflung rafften die Insassen genauso effektiv dahin wie die Guillotine. Hayden konnte nur hoffen, dass man seine Männer und ihn bald in ein besseres Gefängnis verlegte, doch der Gedanke, man könnte sie über Tage zu Fuß marschieren lassen, machte ihm Angst. Diesen Strapazen wären sie nicht gewachsen. Man würde sie hilflos am Wegesrand zurücklassen.
Die Zeit schien ihren Dienst quittiert zu haben, wäre da nicht das dumpfe Schlagen der Zitadellenglocke gewesen, die jede Stunde verkündete. Die Männer der Themis gaben sich Mühe, die Moral aufrechtzuerhalten. Sie fegten die Zelle aus, so gut es ging, wechselten sich beim Austeilen der Wasserration und beim Fortschaffen des Unrats ab – Pflichten, die irgendjemand übernehmen musste. Wann immer es sich ergab, wurden Geschichten zum Besten gegeben, auch wenn diese Geschichten schon alt und längst bekannt waren – das Zuhören war immer noch besser, als allmählich den Verstand zu verlieren.
»Erzählen Sie uns noch einmal, wie Sie das Horn umrundet haben«, wandte sich einer der Midshipmen mindestens einmal am Tag an den Master. Und Barthe ließ sich erweichen, erzählte dann zum wiederholten Male von seiner Fahrt und spann sein Seemannsgarn. Hob er später erneut zu erzählen an, unterschied sich die eine Version von der anderen nur in der Höhe der Wellen und der Stärke des Sturms. Einige stimmten Lieder an. Nicht immer sangen alle mit, nur wenn die Energie ausreichte.
Wann immer die Wachen ihnen die Tagesrationen brachten, fragte Hayden, ob sie wüssten, was mit den Engländern geschehen würde oder ob sie jemanden von den Behörden sprechen könnten. Aber jedes Mal erhielt er die gleiche Antwort – die Wachen wussten nichts und kein Mann der Behörden war bereit, so viele Stufen nach unten zu steigen. Allmählich wisperten die Männer untereinander, dass man sie vergessen habe – dass niemand in England noch wisse, dass sie lebten. Keiner sprach es aus, aber alle befürchteten sie, sie würden in diesem dunklen Loch verrotten.
Wann immer Unmut oder die pure Verzweiflung aufkam, mischte sich Hayden ein und verlangte nach einem Lied oder einer guten Geschichte. Er durfte nicht zulassen, dass die Moral der Männer weiter abfiel. Die Schwermut war eine Krankheit, die nicht minder schädlich war als Fieber, und Hayden wollte nicht, dass seine Männer in die Fänge der Melancholie gerieten.
Tage vergingen, bis eines Vormittags – keiner wusste genau, was für ein Tag war – eine Gruppe Bewaffneter unter Führung eines Offiziers vor den Gitterstäben auftauchte. Im Hintergrund wartete der Gefängniswärter. Zum Erstaunen aller schwang die Zellentür auf. Der Offizier bedeutete Haydens Leuten, die Zelle zu verlassen, in fast freundschaftlicher Manier.
»Kommen Sie«, sprach er, »Sie sollen mich begleiten.«
Rasch weckte man die Schlafenden. Die Männer suchten ihre wenigen Sachen zusammen – Kleidung, Schuhe und dergleichen – und rafften sich müde auf.
»Wohin bringen Sie uns?«, fragte Hayden. »In ein anderes Gefängnis?«
Der Offizier zuckte mit den Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Capitaine . Bringen Sie Ihre Leute mit, wenn ich bitten darf.«
Die britischen Seeleute verließen die Zelle und nahmen den beschwerlichen Aufstieg in Angriff. Über viele Stufen schleppten sie sich durch die Stockwerke der Zitadelle, bis sie hinaustraten in das gleißende Sonnenlicht. Die Augen zusammengekniffen, nahmen sie eine weitere Treppe, die in einen Innenhof hinabführte.
Dort trafen sie auf eine Gruppe Offiziere und Aufseher, und Hayden musste zweimal hinsehen, als er Capitaine Raymond de Lacrosse erblickte.
» Capitaine Lacrosse«, sagte er auf Französisch, »ich freue mich, Sie wohlbehalten wiederzusehen, Monsieur .«
»Und mich freut es, Sie zu sehen, Capitaine . Wir haben so viele Männer verloren.
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