Zu feindlichen Ufern - [3]
räumen.«
»Oh, das klingt ja, als sprächen wir hier von einem Schlachtfeld, Lizzie! So schlimm ist es nicht. Es ist nur alles so furchtbar verwirrend. Ich möchte Frank nicht wehtun. Er ist mir mein ganzes Leben wie ein Freund und Vertrauter gewesen. Aber ich kann es ebenso wenig ertragen, Charles zu enttäuschen, der auf seinem Schiff für England gekämpft hat, während sein Name in Verruf gebracht wurde. Gerüchte kursierten, die sich als Lügen entpuppten. Charles wurde wirklich übel mitgespielt. Nehme ich jedoch mein Versprechen Frank gegenüber zurück, wäre das ungerecht.«
»Du musst gegenüber einem der Gentlemen dein Versprechen zurücknehmen, Henri. Ich weiß, dass du das am liebsten von dir schieben würdest, aber es ist nun mal die Wahrheit.«
Henrietta sank in tiefe Verzweiflung. Schlimmer war noch, dass sie meinte, die ganze Situation selbst heraufbeschworen zu haben. Hätte sie doch mehr an Charles geglaubt und ihm vertraut! Doch sie hatte sich töricht verhalten, nicht treu zu ihm gestanden. Er hatte ihr sein Vertrauen geschenkt, doch sie empfand gleich in jenem Moment Misstrauen, als sein Verhalten in Verruf geriet. Und wer war loyaler, pflichtbewusster und ehrenvoller als Charles Hayden? Sie verspürte das eigenartige Verlangen, sich selbst für ihr Verhalten zu bestrafen, auch wenn sie wusste, dass sie diese Selbstkasteiung nicht verdient hatte.
»Ich werde mich zurückziehen, Elizabeth«, kündigte sie an und erhob sich. »Obwohl ich ahne, dass ich die ganze Nacht wach im Bett liegen werde und mir nachher nur noch elender zumute sein wird. Aber wie du schon sagtest, ich habe meine Hand zwei Gentlemen versprochen, und morgen früh muss ich mich entscheiden, wessen Antrag ich annehmen werde. Vorausgesetzt, beide Gentlemen wollen mich noch bei Sonnenaufgang.«
»Daran wird sich wohl nichts ändern.« Elizabeth küsste ihre Cousine auf beide Wangen. »Ich glaube, dass ich keinen tiefen Schlaf finden werde. Wenn du mich brauchst, dann bin ich bei dir. Meinen Rat hast du wahrscheinlich nicht mehr nötig, weil ich dir die Entscheidung nicht abnehmen kann. Aber oft ist es tröstlich, wenn man nicht allein ist …«
»Du bist meine treuste und liebste Freundin, Lizzie.«
»Und ganz gleich, wie deine Entscheidung am Morgen aussehen mag, du wirst immer meine liebste Cousine und Freundin bleiben.«
»Ich danke dir, Lizzie.«
Als Elizabeth den Raum verließ, begab sich Henrietta jedoch nicht auf ihr Zimmer, sondern ging unruhig auf und ab. Einmal fragte sie sich, wie viele Meilen zusammenkommen würden, wenn man die ganze Nacht im Haus auf und ab ging. Doch dann machte sie sich bewusst, dass ihr das bei ihrer Entscheidung auch nicht helfen würde.
Einige Stunden später schlich sich Robert Hertle in das Schlafzimmer seiner Frau und erschrak fast, als er Elizabeth im Bett sitzen sah. Eine einsame Kerze erhellte den Raum.
»Du kommst sehr spät, mein Lieber«, sagte sie, als er die Tür zudrückte.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du auf mich wartest.«
»Ich habe nicht gewartet. Ich konnte nur nicht schlafen, weil ich mir Sorgen mache wegen Henri. Und natürlich denke ich über Mr Beacher und Charles nach. Henri fühlt sich ganz elend. Weißt du noch, wie zurückhaltend sie immer war und wie sehr sie darauf bedacht war, die jungen Männer, für die sie nicht viel empfand, nicht zu ermuntern, sie zu umwerben? Umso unbegreiflicher ist es, dass ausgerechnet sie in eine Situation hineingeraten ist, in der sie zwei Männern Hoffnungen gemacht hat. Wie geht es Charles? Er wirkte so gebrechlich und gealtert, aber das mag auch am schlechten Licht gelegen haben.«
»Du hast schon recht, er sieht sehr mitgenommen aus und wirkt um Jahre gealtert. Ich hoffe, dass er sich davon erholt. Nur wenige haben den Schiffbruch überlebt, und diejenigen, die ausharrten, waren dem Sturm und furchtbarer Kälte ausgesetzt. Drei Tage und drei Nächte fürchteten sie um ihr Leben. Mir scheint, er war dem Tod so nah, dass bisher nur ein Teil von ihm wirklich zu uns zurückgekehrt ist.«
»Henri meinte, sie habe nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollte, weil alles so unwirklich wirkte, als sie ihn wiedersah. Als wäre er aus dem Reich der Toten auferstanden, das waren ihre Worte.«
»Man könnte fast glauben, dass es der Wahrheit entspricht – wie Lazarus. Ich muss sagen, ich bin überglücklich, dass mein bester Freund noch am Leben ist, aber gleichzeitig kann ich gar nicht zum Ausdruck bringen, wie
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