Zu feindlichen Ufern - [3]
Arznei sich als wirkungslos erweisen, so schicke ich ihn ins Lazarett.«
Hayden sah dem Hauptmann und dem Midshipman nach, die über die Laufbrücke verschwanden. Hawthorne war fast einen Fuß größer als der Bursche, der Mühe hatte, Schritt zu halten.
In diesem Moment erinnerte sich Hayden an seinen ersten Tag an Bord – er war völlig unwissend gewesen. Kameraden hatten Scherze mit ihm getrieben, man hatte ihn schikaniert und wie einen Tölpel dastehen lassen, doch man hatte ihn auch freundlich behandelt. Das Leben an Bord eines Schiffes war hart. Diese jungen Burschen konnten froh sein, einen Mann wie Wickham als dienstältesten Midshipman zu haben. Er würde die Jungs auf den richtigen Kurs bringen und ihnen beistehen, wenn es nötig war. Gould, der nicht viel älter als die Neulinge war, würde ebenfalls ein Auge auf die Jungs haben, wie Hayden festgestellt hatte. Er hätte sich keine bessere Gruppe junger Gentlemen wünschen können.
Danach suchte er den Horizont nach Segeln ab – doch nichts war zu sehen. Seine Stimmung verschlechterte sich merklich, als drücke ihn eine schwere Last nieder. Seine letzte Begegnung mit Henrietta hatte sich in seine Erinnerung gebrannt und hallte in seinem Gedächtnis nach wie ein Echo, das sich tausendfach an Felswänden bricht. Ihre Worte hatte er schon so oft im Geiste wiederholt, dass sie jegliche Bedeutung verloren zu haben schienen – als hätte Henrietta in einer völlig fremden Sprache zu ihm gesprochen.
Bald kehrte er in seine Kajüte zurück, empfand es dort jedoch als derart unwillkommen, dass er es kaum aushielt. Er sehnte sich nach der Geselligkeit der Offiziersmesse. Er musste unter Leute, das wäre die beste Arznei gegen Schwermut. Wenn er jetzt allein in seiner Kajüte säße, um seine Wunden zu lecken, würde er wahrscheinlich noch krank. Doch ohne Einladung stand ihm die Tür zur Messe nicht mehr offen. Gewiss, er hätte sich unter irgendeinem Vorwand dorthin begeben können – schließlich gab es mit den Offizieren stets etwas zu besprechen –, aber diesem Verlangen widerstand er. Ein Kapitän durfte keine Schwäche zeigen. Als Kommandant musste man sich mit der Einsamkeit der Kajüte arrangieren.
Etwa eine Stunde lang schrieb er seine Gedanken in sein persönliches Journal. Jenseits der Heckfenster tauchte die Sonne in die See und setzte den Horizont in Flammen. Die Ausläufer der einbrechenden Dunkelheit legten sich über das Wasser. Die ersten Sterne waren am Himmelszelt zu sehen.
Später nahm er allein seine Mahlzeit ein, las in einem Buch, das Mr Huxley ihm geliehen hatte, und legte sich schließlich in seine Schwingkoje. Trotz einer fast lähmenden Müdigkeit entzog sich ihm der Schlaf noch für mehrere Stunden. Seine Einbildungskraft schien Spielchen mit ihm zu treiben, bis seine Träume ihn in ihren ganz eigenen Strömungen fortrissen.
Zu vorgerückter Stunde wachte er wieder auf und ließ sich auf das pendelartige Schwingen seiner Koje ein. Er hatte keine Schiffsglocke vernommen und wusste daher nicht, wie spät es war. Seeleute wachten von der Schiffsglocke genauso wenig auf wie die Menschen daheim vom dumpfen Schlagen der Standuhren. Hayden wusste im Augenblick nicht, wie lange er geschlafen hatte und ob es spät nachts oder früh am Morgen war. Eine weitere halbe Stunde wälzte er sich von einer Seite auf die andere, fand aber nicht mehr in den Schlaf und stand schlussendlich auf, fürchtete er doch, die feindliche Flotte sei in Sichtweite und niemand im Ausguck habe sie bemerkt.
Der Seesoldat vor seiner Kajüte teilte ihm mit, dass es noch nicht vier Uhr sei. Hayden stieg an Deck, als sich der östliche Horizont ein klein wenig aufhellte. Eine leichte Brise wehte aus Nord und kräuselte die Wellen. Ransome war der wachhabende Offizier und meldete, alles sei in Ordnung.
»Wir haben in der Nacht nur ein einziges Licht gesehen, Sir, aber das Schiff hatte beigedreht, und wir glauben, dass es Fischer waren.«
»Aber angesprochen haben Sie es nicht, nehme ich an?«
»Haben wir nicht, Sir. Ich hielt es für besser, wenn diese Leute so wenig wie möglich über uns wissen, Sir, denn Fischer in diesen Gewässern können eigentlich nur Franzosen sein.« Doch Ransome schien mit seiner Entscheidung nicht ganz zufrieden zu sein und blickte ein wenig unsicher drein.
»Sie haben richtig entschieden, Mr Ransome«, beruhigte Hayden seinen Leutnant. »Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Wenn alles gut läuft, erreichen wir Lord Howe gegen
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