Zu feindlichen Ufern - [3]
müssen, weil wir Stage und Wanten überstrapaziert haben.« Er machte eine Pause und suchte dann den Blick seines Kapitäns. »Das haben Sie gut gemacht, Sir.«
»Danke, Mr Barthe.«
Hayden ging hinunter in die Offiziersmesse, wo kurz darauf eine Mahlzeit aufgetragen wurde. Er konnte sich angesichts der zurückliegenden Stunden gar nicht erinnern, die Frühmahlzeit eingenommen zu haben. Inzwischen war es nach Mittag. Sein Magen, der wieder einmal bei all der Aufregung rebelliert hatte, schrie nun förmlich nach Nahrung, sodass Hayden bei Tisch tüchtig zulangte, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen.
»Wir haben den Franzosen wirklich überrascht«, fasste Wickham das Ereignis noch einmal zusammen und schien den Triumph auszukosten.
»Ja, und die Nacht zuvor hat er uns überrascht.« Hayden dachte an das Blutbad an Bord des Franzosen und an den blutenden Offizier, in dessen Augen er geblickt hatte. Zögerlich führte er die Gabel zum Mund. »An Bord der feindlichen Fregatte gibt es jetzt wohl kaum einen Franzosen, der uns nicht aus vollstem Herzen hasst – und dazu die gesamte britische Nation.«
Haydens ernster Tonfall entging den anderen nicht, denn die beiden jungen Offiziere verbargen ihr überlegenes Lächeln für einen Moment.
»Was werden wir nun tun, Sir?«, fragte Wickham.
Genau diese Frage hatte sich Hayden schon selbst gestellt. »Wir warten ab, was uns der Wettergott beschert, Mr Wickham. Wenn der Wind nur ein Mal spürbar nachließe, würde ich sofort über Stag gehen. Die beiden unbeschädigten Schiffe sind leewärts von uns, und wir könnten einen Schlag in Richtung englischer Küste schaffen. Eine Wende möchte ich lieber nicht einleiten, da wir dann zu viel Raum verlieren. Sollte der Wind uns zu weit nach Süden abdrängen, müssen wir versuchen, Ushant zu umrunden, in der Hoffnung, auf unsere Fregatten in der Nähe von Brest zu stoßen. Aber ob uns das alles gelingt, solange wir die Verfolger im Nacken haben, vermag ich nicht zu sagen.«
Er sah seinen Midshipman lange an. »Das Wetter trifft die Entscheidungen für uns, Mr Wickham, und wir sind wie ein Nachen, der mal hierhin, mal dorthin gespült wird, je nach Laune der Winde.«
Die Wärme, die die Messe als Zuflucht bot, durfte Hayden in seiner Funktion als Kapitän nicht zu lange genießen, und daher entschuldigte er sich recht bald und kehrte an Deck zurück. Allerdings hätte er zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt den Niedergang verlassen können, da wieder eine Regenbö aus Nord über das Schiff fegte. Die Tropfen prasselten auf das Ölzeug, und die Kälte fuhr ihm in die Glieder. Augenblicklich war die Verschnaufpause in der vergleichsweise warmen Offiziersmesse vergessen.
Die See war wie ein endloses Gebilde aus aufwallenden Höhenzügen, trübe und dunkel, hier und da überzogen von weißen Gischtfahnen. Wellenberge bauten sich auf und vergingen wieder, so weit das Auge reichte. Hayden dachte, dass die See in diesem Zustand eigentlich nur eine Heimstatt für Wale sein konnte und dass der Mensch in diesen Gefilden bloß widerwillig geduldet wurde.
Ransome, der mit eingezogenen Schultern und mit dem Rücken zum Wind ausharrte, sah seinen Kapitän und richtete sich auf.
»Wie steht es um unsere Begleiter, Mr Ransome?«, rief Hayden durch den Wind.
»Ich hatte vorhin den Eindruck, dass sie aufholen, Sir, aber jetzt scheinen sie zurückgefallen zu sein.« Er deutete nach Backbord. »In den Regenschleiern sind sie überhaupt nicht mehr zu sehen. Aber sowie die starken Böen abreißen, tauchen die Schiffe wieder auf.«
»Ja, sie werden nicht von uns ablassen, auch nicht bei schlechtem Wetter. Und was ist mit dem Schiff, das wir der Länge nach bestreichen konnten? Ist es noch in Sichtweite?«
»Die Fregatte haben wir vollkommen aus den Augen verloren, Kapitän, aber bei diesem Wetter kann man oft kaum weiter sehen als zwei Meilen, meistens noch weniger. Es könnte also sein, dass sie gar nicht so weit weg ist.«
»Stimmt, wir müssen mit ihr rechnen. Wo ist Mr Barthe?«
»Er ist zum Doktor gegangen, Sir. Ist an Deck ausgerutscht und hat sich den Knöchel verstaucht. Er kann kaum noch richtig stehen, Kapitän.«
»Das sind ja schlimme Nachrichten!«, sagte Hayden, unterdrückte einen Fluch und war ernstlich in Sorge. Bei diesen schlechten Sichtverhältnissen und dem Küstenverlauf, der leewärts nicht allzu weit entfernt war, brauchte er seinen Master an Deck, nicht irgendwo dort unten in einer Koje.
»Dryden meint, wir
Weitere Kostenlose Bücher