Zu feindlichen Ufern - [3]
bestimmt werden konnten. Zudem hatte der Wind sie insgesamt nach Süden abgetrieben, wie weit, vermochte selbst der Master nicht zu sagen. Daher blieb die Entfernung zur französischen Küste eine unsichere Größe. Nachdem sämtliche Faktoren in die Berechnungen mit eingeflossen und die letzten Striche auf der Karte eingezeichnet waren – mögliche Fehler hatte man ebenfalls berücksichtigt –, blieb das Gebiet, in dem man die Themis vermutete, beunruhigend groß. Das Standliniendreieck bezog sogar die Nordküste der Insel Ushant mit ein.
»Also, Mr Barthe«, fasste Hayden zusammen, »da wir noch auf keine Felsen gelaufen sind, möchte ich behaupten, dass wir nicht hier sind.« Hayden deutete auf die Insel in unmittelbarer Küstennähe.
Die Männer oben an Deck, die das Senkblei auswarfen, waren durch die Decksplanken zu hören.
»Wenn wir wirklich so dicht bei Ushant sind«, sagte Archer nachdenklich, »dann wären die Franzosen töricht, wenn sie versuchten, binnenbords an uns vorbeizuziehen.«
»Wenn sie glauben, dieselbe Position zu haben wie wir«, erwiderte Hayden. »Sofern sie sich aber sicher sind, dass wir weiter von der Insel entfernt sind – und das hier sind ihre Gewässer –, dann könnten sie sehr wohl versuchen, binnenbords zu segeln, um zu verhindern, dass wir Brest erreichen. Ich bezweifle nicht, dass sie unsere Absicht längst durchschaut haben.«
In diesem Moment kam Wickham aus dem Unterdeck. Er hatte dort seine Wache beendet und sah müde aus. Nun trat er zu den anderen, die sich um die Karte geschart hatten, die von einer schwankenden Laterne beleuchtet wurde. Er brauchte nur einen kurzen Blick auf die Karte zu werfen und wusste bereits, um was es ging.
»Man sollte doch meinen, dass diese verfluchte Insel den Anstand hat, an einer Stelle zu bleiben«, meinte der Midshipman, »aber ich hatte schon einmal den Eindruck, dass sie etliche Meilen weiter in die See ragte, als es ihr eigentlich zusteht.«
»Ja, sind ein eigensinniges Pack, diese Inseln«, stimmte Dryden zu.
Hayden schaute in die Gesichter seiner Männer und fand nirgends Gewissheit. »Nun, wie dem auch sei. Wir müssen Ushant in weitem Bogen umrunden, es sei denn, wir bekommen die Insel doch noch zu sehen, wenn das Wetter aufklart. Sollten die Franzosen binnenbords von uns kommen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Kurs entsprechend neu auszurichten. Ich werde mein Schiff und die zweihundert Mann Besatzung jedenfalls nicht aufs Spiel setzen.«
Diese Antwort konnte niemanden zufriedenstellen, denn die Briten gerieten in eine unangenehme Position, wenn es den Franzosen gelänge, sich zwischen die Themis und die Küste Frankreichs zu bringen. Aber keiner von Haydens Männern traute sich zu, die genaue Position der Themis festzulegen.
»Wir behalten diesen Kurs bis zum Tagesanbruch bei. Und wenn wir auch dann noch nichts von Ushant sehen, gehen wir auf einen südlichen Kurs, falls der Wind mitspielt.«
Die Männer nickten, und die kleine Versammlung löste sich auf. Hayden stieg mit Wickham an Deck, wo der Midshipman als Nächstes zur Wache eingeteilt war.
»Der Tag wird bald anbrechen«, stellte Wickham fest, sowie sie an Deck traten und sahen, dass sich das Wetter im Verlauf der letzten Stunden gebessert hatte.
»Wo sind die Franzosen?«, wandte sich Hayden an Ransome, der sie am Niedergang empfing.
Der junge Leutnant deutete in Richtung der Heckreling auf Lichter in der Ferne. »Ich habe nicht den Eindruck, dass sie ihren Kurs an Backbord ändern, Kapitän.«
»Ich vermute, dass sie bei der Bestimmung ihrer Position genauso klug sind wie wir«, meinte Hayden und wusste nicht recht, ob ihn das nun freuen sollte.
»Der Wind hat merklich nachgelassen, Sir, und die See ist nicht mehr so aufgewühlt. Kein Grund bei fünfzig Faden. Unser Kurs ist nach wie vor Südwest.« Ransome deutete vage aufs Meer. »Ich fürchte, wir bekommen es weiter südlich mit Nebel zu tun, Sir.«
Bei dieser Beobachtung hellte sich Haydens Miene auf. »Darauf hatte ich gehofft, Mr Ransome.«
Der Sonnenaufgang verschwamm in den Schlieren eines silbrigen Nebels, und der Wind erstarb zu einem Wispern. Der zuvor hohe Wellengang, der im Laufe der Nacht mit dem Wind abgenommen hatte, ging allmählich in eine ölig schimmernde Dünung über.
Die Verfolger verschwanden in den Nebelschwaden, aber der Themis fehlte der Wind, um den Franzosen zu entkommen. Sie waren in eine Flaute geraten – irgendwo vor Frankreichs Küste.
K APITEL
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