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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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SIEBEN
    »Du hast ihn verbrannt – ohne ihn zu lesen?« Henrietta sah ihre Cousine an, die mit den Schultern zuckte und die Hände öffnete, die auf ihrem Schoß ruhten.
    Elizabeth hatte zugegeben, noch vor der Abreise aus London einen Brief verbrannt zu haben, der von Charles Hayden stammte.
    »Was könnte Mr Hayden schon geschrieben haben, das mich veranlasst hätte, meine Meinung über ihn zu ändern? Dass es nicht seine Absicht war, dir Kummer zu bereiten? Dass er überwältigt ist von Reue und Gewissensbissen? Offenbar nicht allzu sehr, denn sonst hätte er sich ehrenhaft verhalten. Nein, er hätte mir nichts sagen können, das ich mir hätte anhören wollen. Mr Hayden ist in meinem Haus nicht mehr willkommen, ebenso wenig seine schlecht ersonnenen Ausflüchte. Er ist ein Schurke, und ich kann Schurken nicht ausstehen – und entschuldige mich auch nicht.«
    Henrietta fiel auf, dass Elizabeth nicht mehr »Charles« sagte, was sie bislang stets getan hatte, wenn sie wohlwollend von ihm gesprochen hatte. Sie benutzte auch nicht mehr den Titel »Kapitän Hayden«, mit dem sie ihre Achtung zum Ausdruck gebracht hatte. Jetzt sprach sie nur noch von »Mr Hayden« oder nur von »dem Mann«.
    »Ich hoffe, dass du nie so schlecht von mir denkst, Cousine.«
    »Wie sollte es auch je dazu kommen, Henri? Du würdest dich nie so ehrlos benehmen – es liegt nicht in deiner Natur.«
    Ein leises Klopfen an der Tür verhinderte Henriettas Antwort. Frank Beacher trat ein, den Hut in der Hand, gekleidet für einen Spaziergang.
    »Mir scheint, ich komme gerade ungelegen. Soll ich später noch einmal wiederkommen?«
    Henrietta erhob sich. »Das wird nicht nötig sein. Ich möchte gern an die frische Luft.«
    »Hätten Sie Lust, uns zu begleiten, Mrs Hertle?«, erkundigte sich Beacher höflich.
    »Das ist sehr nett von Ihnen, Mr Beacher, aber ich habe Penelope versprochen, etwas Zeit mit ihr zu verbringen. Genießt den Spaziergang, meine Lieben«, sagte sie und bedachte die beiden mit einem gütigen Lächeln.
    Penelope kam sehr nach ihrer Mutter, wie Elizabeth sich bewusst machte. Die Carthew-Schwestern hatten entweder fast runde Gesichter, blaue Augen und seidiges, blondes Haar, oder die Gesichter waren eher oval und die Haare dunkel, wobei die Augen schwer zu beschreiben waren, denn sie schillerten je nach Lichteinfall braun, mit bernsteinfarbenen Sprenkeln, oder tief grün. Alle waren sie auf ihre Art lieblich anzuschauen. Henri war gewiss die pflichtbewussteste der Schwestern und besaß einen scharfen Verstand, während Anne den unabhängigsten Geist hatte. Anders als Henri rieb sie sich an den Gepflogenheiten der Familie oder den Zwängen des weiblichen Geschlechts. Nicht dass sie den Carthew-Clan nicht bewundert hätte – Elizabeth war sich sicher, dass Anne es tat –, aber sie hatte wenig Zeit, sich mit den Erwartungen der Familie abzugeben. Mehr als alles andere wünschte Anne sich, ihr eigenes Leben zu führen – zu ihren Bedingungen.
    Penelope war wie frischer Ton, der noch nicht geformt war. In vielerlei Hinsicht eiferte sie ihren älteren Schwestern nach, aber sie probierte sich im Grunde nur aus, wie Elizabeth vermutete – wie Kleider, die man anzog, um zu sehen, ob sie passten. Da sie die Jüngste war, stand sie oft im Schatten ihrer reiferen Schwestern und versuchte daher, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wo es nur ging. Doch auch Elizabeth war nicht entgangen, dass Pen zur hübschesten der Schwestern heranwuchs, und dieser Umstand blieb nicht unbemerkt – insbesondere nicht bei einer stattlichen Anzahl junger Herren. Und wie bei allen Mädchen ihres Alters, gefiel ihr diese Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts. Ja, sie genoss es sogar sichtlich, umworben zu werden. Ihr Herz jedoch gehörte nur einem jungen Mann – doch der war, wie so oft im Leben, verrückt nach einer anderen: Henrietta.
    Pen war zwar noch jung, aber sie war genauso wenig töricht wie alle anderen in der Familie, und sie verwendete ihre Kraft darauf, die Beachtung von Frank Beacher zu gewinnen. Doch sie versuchte gar nicht erst, ihre Schwester Henrietta nachzuahmen – sie war klug genug, das zu vermeiden, besaß sie doch obendrein ein ganz anderes Temperament. Aber allmählich legte sie das jungmädchenhafte Verhalten ab und wurde ernster und anmutiger. Sie war darum bemüht, an ihrer geistigen Wendigkeit und ihrem Charme zu arbeiten. Und wo hätte sie all dies besser erlernen können als in einem Haushalt, in dem es an Esprit und

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