Zu feindlichen Ufern - [3]
Wahrheit. Er war kein Halbblut, sondern ein Mann mit zwei Nationalitäten, zwei Kulturen und völlig gegensätzlichen Empfindsamkeiten.
»Da seid ihr also, meine französischen Brüder«, sagte er leise und lächelte. »Ich habe euch vermisst.«
Im Nebel erklang eine Schiffsglocke, und zwar so nah, dass Hayden es zuerst für die eigene Glocke hielt. Im selben Moment wehte die französische Flagge einmal nach Backbord, dann entrollte eine Brise sie und die Segel füllten sich. Die Fregatte nahm Fahrt auf, ganz langsam zunächst, bis sie wieder auf das Ruder ansprach. Es war, als wäre die Themis zu neuem Leben erwacht und durch den Odem des Meeresgottes auferstanden.
Aus der Düsternis tauchte ein konturenloser Schatten auf wie eine Geistererscheinung. Plötzlich erkannte Hayden Rigg und Segel. Ein Schiff – das in die entgegengesetzte Richtung fuhr.
»Welches Schiff?«, rief ihnen jemand auf Französisch zu.
Die Augen aller Offiziere ruhten auf Hayden, aber mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Einen Moment lang herrschte Leere in seinem Kopf, bis er sich zu einem Namen einer französischen Fregatte ähnlicher Größe durchrang.
»Résolue!«, rief er hinüber.
An Bord des Franzosen sprachen die Offiziere leise miteinander, doch Hayden konnte kein Wort auffangen. Und dann war das Schiff fort und löste sich in dem Weiß keine fünfundsiebzig Fuß achteraus auf. Als wäre ein Geisterschiff an ihnen vorübergezogen, mit Untoten an Bord, die miteinander tuschelten. Dann wehten mit der kühlen, feuchten Luft französische Befehle wie aus dem Nichts herüber. Deutlich hörte man, wie Matrosen über Deck eilten, wie Leinen aufgeschossen und Rahen gebrasst wurden.
»Sie halsen, Sir«, wisperte Wickham auf Französisch.
»Ja.« Die Worte trafen Hayden bis ins Mark. Er konnte kaum noch atmen. »Mr Wickham, klettern Sie auf den Großmast, so weit Sie kommen. Nehmen Sie noch einen Mann mit – einen, dem die Höhe nichts ausmacht und der gute Augen hat. Und schärfen Sie ihm um Himmels willen ein, nicht in englischer Sprache zu rufen!«
»Aye, Sir.«
»Mr Archer. Segeltrimmer auf Stationen, wenn ich bitten darf.«
»Steuern wir weiterhin zur Küste hin, Sir?«, fragte Archer.
»Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.«
»Ich lasse die Männer so leise wie möglich antreten, Sir.« Der Leutnant eilte in Richtung Laufbrücken und schickte Matrosen los, die die neuen Befehle weitergaben.
»Harvey«, flüsterte Hayden dem Mann am Steuerrad zu. »Bringen Sie sie so nah an den Wind, wie es geht. Wir brauchen volle Segel, um jeden Preis. Lassen Sie sie nicht killen.«
»Aye, Sir. Sie werden kein Flattern sehen, Kapitän, versprochen.«
Barthe war aufgestanden und stützte sich schwer auf seinen Stock. Er war ganz aufgeregt, konnte aber nicht wie sonst eilig auf und ab schreiten. Humpelnd kam er an Haydens Seite.
»Das war ein Dreidecker, Kapitän«, wisperte er. »Achtundneunzig Geschütze …« Der Master war so erschrocken, dass Hayden ein Schauer über den Rücken lief.
»Es ist nicht anzunehmen, dass sie uns noch einmal in diesem Nebel finden werden, Mr Barthe.«
Barthe schaute hinauf ins Rigg, was ihm schwerzufallen schien, da er eine Hand in den Rücken stemmte. »Das werden sie aber, wenn sie unsere Mastspitzen über den Nebelschwaden sehen, Sir.«
Genau aus diesem Grund hatte Hayden den jungen Wickham aufentern lassen. »Beten wir, dass dieser Nebel der Sonne noch ein wenig länger standhalten kann.«
»Fast jeder wird jetzt dafür beten, Sir, dafür wette ich.«
»Mr Ransome? Lassen Sie weitere Männer in den Großmast aufentern. Sie sollen sich in regelmäßigen Abständen an den Wanten verteilen und Mr Wickhams Berichte weitergeben, aber so leise wie möglich, von einem Mann zum nächsten.« Er wandte sich an Hobson. »Wer hält Ausschau im Klüverbaum?«
»Das weiß ich nicht, Sir.«
»Dann möchte ich, dass Sie sich dorthin begeben, Hobson. Schicken Sie den Mann, der dort Dienst hat, zurück auf seinen Posten.«
»Aye, Sir.«
Unterdessen hatten Gould und der Segelmacher das Quarterdeck betreten und wiesen einige Matrosen an, das schwere Segel zur Heckreling zu schleppen. Rasch wurde das Tuch wie zum Trocknen über die Reling gehängt, aber ob sich dadurch jemand verwirren ließ, blieb ungewiss, da sämtliche Segel tropfnass waren.
Wickham hatte inzwischen die oberste Rah erreicht und setzte sich rittlings auf die Spiere. Vom Deck aus war er nur noch zu erahnen. Die Matrosen, die seine
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