Zu feindlichen Ufern - [3]
doch Elizabeth befürchtete, dass nur ein kleiner Auslöser reichte, um die Tränen wieder fließen zu lassen. Henriettas Augen schimmerten leicht.
Doch nach Elizabeths Dafürhalten waren die Tränen ihrer Cousine beunruhigend, weil es sich um keine Freudentränen handelte. Im Gegenteil: Henrietta war wirklich traurig und geradezu erschüttert – und Elizabeth bekam ein schlechtes Gewissen, da sie diese Verbindung unterstützt, ja, fast als Ehestifterin fungiert hatte. Doch jetzt, da Frank Beacher Henrietta endlich einen Antrag gemacht hatte, schien Henrietta untröstlich zu sein. So hatte sich Elizabeth das nicht gewünscht.
»Henri, Henri«, sprach sie leise und beruhigend auf ihre Cousine ein. »Was ist nur mit dir, meine Liebe? Du bist doch nicht verpflichtet, Frank Beacher das Jawort zu geben, und wenn du ablehnst, so wird er das auch verkraften. Er ist jung und gesund, er wird es überleben.«
»Ich vermag nicht zu sagen, warum ich …«, einen Moment lang wirkte sie orientierungslos und deutete vage auf sich selbst, »… so reagiere. Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin bloß …« Aber sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen, da ihr die Tränen wieder über die Wangen rannen. »Ich bin einfach so – unglücklich. Ich kann es kaum noch ertragen, Lizzie. Und ich weiß auch nicht, warum.«
Die beiden Cousinen saßen auf dem Sofa, die eine überwältigt von Kummer, die andere blickte verwirrt zu Boden und schämte sich, diese Partie überhaupt vorgeschlagen zu haben. Hätte sie doch besser ihre eigenen Worte beherzigt, als sie sagte, es gebe übereifrige Zeitgenossen, die junge Leute zueinander drängten. Den wohlmeinenden Rat von Freunden zu missachten war eine Sache. Schlimmer war es indes, wenn man die eigenen, klugen Lebensansichten vollkommen in den Wind schlug. Das war einfach nur töricht, und Elizabeth gefiel es gar nicht, sich töricht vorzukommen.
K APITEL ACHT
Sie glitten auf einer See aus Quecksilber dahin, die in milchigen Schleiern verschwamm. Die Luft, kühl und von tödlicher Stille, war erfüllt von glänzenden Tropfen. Das ganze Schiff war von Wasser überzogen, das aus den Nebelschwaden an Bord kondensierte. Die Geräusche wirkten gedämpft: das Knarren der Taue, die Bewegungen der Männer, die leise Unterhaltung unter Deck, nur unterbrochen von dem klagenden Schrei einer Möwe aus dem Nichts. Wo der Vogel in all dem Nebel war, vermochte Hayden nicht zu bestimmen. Der Schrei hätte von achtern kommen können oder aus unbestimmter Ferne.
Die Matrosen erledigten ihre Aufgaben auf Zehenspitzen, man hörte kaum, wenn sie mit ihren bloßen Füßen über das rutschige Deck schlichen. Alle Männer lauschten hinaus in den Nebel, fürchtete die Crew doch, dass jeden Moment in unmittelbarer Nähe die Hölle losbrechen könnte, wenn eine Breitseite von einem unsichtbaren Schiff abgefeuert würde.
»Mr Wickham?«, wisperte Hayden.
»Sir?«
»Haben Sie das gehört? Eine Stimme, denke ich.«
Wickham stand an der Reling, keine zwei Yards von Hayden entfernt, und hielt sein Fernrohr in der Hand. Doch es war praktisch nutzlos bei diesen Sichtverhältnissen. Langsam schaute er von rechts nach links. »Nein, Sir, nichts gehört.«
»Ich bitte Sie, hören Sie noch einmal genau hin.«
Die beiden rührten sich nicht, hielten den Atem an und lauschten.
»Ja«, sagte Wickham, »ich habe tatsächlich etwas gehört.«
»Wonach hörte sich das an?«
»Ich weiß es nicht, Kapitän. Stimmen. Hörte sich an wie Stimmen.«
»Sprachen sie Französisch?«
»Vermag ich nicht zu sagen, Sir. Ich könnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, dass es Menschen waren. Vielleicht Vögel.« Er zuckte mit den Schultern.
Als habe er magische Worte gesprochen, glitt eine Möwe aus den Nebelwänden und klagte einer gleichgültigen See ihr Leid. Der Vogel mied die Segel der Themis , die nass und schlaff herabhingen. Aus dem Nebel wurde der Schrei der Möwe beantwortet, dann aus anderen Richtungen.
Ein dumpfer Laut erreichte sie, aus der Ferne und gedämpft.
»Dort, Sir!«, rief Wickham leise. »Dort sind sie.«
»Wo genau?«
Wickham zeigte mehr oder weniger in westliche Richtung.
In solch dichtem Nebel schienen Geräusche aus vielen Richtungen gleichzeitig zu kommen – und von nirgendwo. Stand man auf dem Quarterdeck, wie Hayden jetzt, war der Bug verhangen hinter Schleiern aus Nebel, die langsam über Deck schwebten. Selbst wenn Nebelaufwallungen wegwehten, konnte man nicht einschätzen, wie weit man in das
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