Zu feindlichen Ufern - [3]
Stunden Tageslicht. Dann fiel sein Blick auf die beiden Schiffe, die keine fünf Meilen entfernt waren. Der Wind konnte nicht als Brise bezeichnet werden, und obwohl er günstig für den Kurs auf Brest stand, zogen im Norden dunkle Wolken auf. Falls der Wind auf Nord drehte, würde er gewiss stärker.
Hayden konnte seine Aufregung kaum verbergen und gab sich Mühe, nicht die Beherrschung zu verlieren. Lacrosse und dessen Offizieren gegenüber wollte er nicht preisgeben, was er dachte. Aber er hielt es tatsächlich für mehr als wahrscheinlich, dass dies dort britische Schiffe waren – eben jene Fregatten, auf die er vor Brest gezählt hatte. Seine eigenen Offiziere würden bei solch einer Nachricht aufatmen, aber Hayden beschloss, vorerst an Deck zu bleiben, so lange man ihm dies noch gestattete. Denn er hoffte, in Kürze Gewissheit zu haben, unter welcher Flagge diese Schiffe segelten. Noch vermochte er nicht einzuschätzen, wie lange er an Deck bleiben durfte, ehe man ihn zu den Kameraden führen würde. Oder hatte er bereits das Wohlwollen des französischen Kommandanten über Gebühr strapaziert? Er würde es bald herausfinden.
Lacrosse ging ein Risiko ein, wenn er die Briefe von Haydens Mutter vernichtete. Wenn nämlich irgendjemand aus der Crew von diesen Briefen wusste – oder der Leutnant, der sie ursprünglich fand, sich letzten Endes doch als unzuverlässig erwies – und den Behörden von diesen Schriftstücken berichtete, würde Lacrosse in eben jenen Strudel des Terrors stürzen, von dem er gesprochen hatte. Im gegenwärtigen Klima in Frankreich war es unklug, wenn man es sich mit den Behörden verscherzte, insbesondere wenn man von adliger Herkunft war. Die Flüchtlinge aus Frankreich berichteten jedenfalls von Vorfällen, die man kaum glauben konnte: Ein unbedarfter sechzehnjähriger Bursche war exekutiert worden, weil er überschwänglich »Vive le Roi!« gerufen hatte. Eine Frau, die zweifelsfrei beweisen konnte, dass sie nicht die Frau war, die behördlich gesucht wurde – auch wenn sie zufällig denselben Namen trug –, kam trotzdem auf die Guillotine, damit die Büttel diesen Namen endlich von ihrer Liste streichen konnten.
Unweigerlich musste Hayden an den schwermütigen Giles Sanson denken, der einst als französischer Gefangener auf sein Schiff gekommen war. Er hatte versucht, seiner Familie zu entfliehen – die seit Generationen den Scharfrichter gestellt hatte. Letzten Endes war er seinem Schicksal entkommen, indem er sich das Leben genommen hatte. Hätte dieser Mann geahnt, was sich nur wenige Monate später in Frankreich abspielen würde, hätte er sich womöglich glücklich schätzen können.
Lacrosse, dachte Hayden, war ein ehrenwerter Mann der alten Schule. Für ihn mochte Hayden der Feind sein, aber Lacrosse sah in ihm auch den Offizierskameraden. Und ein Mann wie Lacrosse würde nicht zulassen, dass Hayden ohne Grund ermordet würde – sofern es in seiner Macht lag, es zu verhindern. Hayden hoffte, dass er genauso ehrenhaft handeln würde, wenn er an Lacrosses Stelle wäre, aber er war sich nicht sicher, ob ihm dies bei all den Risiken möglich sein würde.
Hayden nahm Lacrosse beim Wort und drehte eine Runde an Deck, in Begleitung von zwei Seesoldaten. Eigentlich wollte er noch einmal an die Reling treten und sich in Ruhe die beiden Schiffe anschauen, von denen das zweite noch nicht klar zu erkennen war, aber dann überlegte er es sich noch einmal anders, da die Franzosen dies für beleidigend halten könnten. Daher blickte er nur alle paar Schritte wie beiläufig in Richtung der Schiffe. Beide waren nach wie vor nicht exakt zu identifizieren, zumal Hayden kein Fernrohr zur Hand hatte.
Einige Zeit später erreichte er nach seinem Rundgang wieder das Quarterdeck, wo Lacrosse und dessen Offiziere in eine leise Unterhaltung vertieft waren. Offenbar hatten sie zu einer Einigung gefunden, und plötzlich begannen die Leutnants, Befehle zu rufen. Der Kurs wurde geändert, Rahen wurden gebrasst. Die Droits de l’Homme lag nun vor dem Wind. Sie floh vor den herannahenden Schiffen.
Einen Moment lang blickte Hayden in Richtung der beiden Verfolger, die nun achteraus lagen. Ohne Fernrohr vermochte er nicht zu sagen, ob es sich wirklich um Briten handelte, aber die Franzosen schienen sich in diesem Punkt einig zu sein.
» Capitaine Hayden«, sagte Lacrosse und winkte ihn zu sich.
Hayden war augenblicklich an der Heckreling, wo der Franzose stand.
»Wir denken, dass dies englische
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