Zu feindlichen Ufern - [3]
Nachricht. Ich werde Lacrosse sagen, dass Rosseau ein Gefangener war – dass er von einer Hulk entkommen ist und im Ärmelkanal in einem Ruderboot aufgefischt wurde.« Doch diese Version fand selbst Hayden unglaubwürdig. Andererseits, was sollte er Lacrosse erzählen? Rosseau hatte in der Royal Navy gedient und war in Gefangenschaft geraten. Die einzige Erklärung, warum er an Bord Haydens Schiff war, konnte nur Flucht oder Gefangennahme sein.
Einer nach dem anderen wurden die Offiziere und Deckoffiziere in den Verschlag gesteckt. Barthe, Griffiths, die Midshipmen und Hawthorne. Sogar Franks hatte man an Bord der Droits de l’Homme gebracht, des Weiteren Reverend Smosh.
Bald saßen sie alle im schwachen Schein der Laterne, der flackernd auf das Schott und die Decksbalken fiel. Ein jeder hing seinen Gedanken nach, alle blickten niedergeschlagen drein.
»Selbst mit unseren Degen sind wir zu wenig«, stellte Hawthorne klar, »um das Schiff zu erobern.«
»Drei Mann pro Deck müssten doch genügen«, meinte Griffiths in gewohnt trockener Manier. »Sind doch schließlich nur Franzosen.«
Hayden wusste es zu schätzen, dass der Leutnant der Seesoldaten und der Schiffsarzt versuchten, die Stimmung ein wenig aufzuhellen, und eigentlich war das die Pflicht des Kommandanten. Aber Hayden war so verzweifelt, sein Schiff verloren zu haben und nichts mehr für die Crew tun zu können, dass ihm einfach die Worte fehlten.
Einige französische Matrosen brachten den Gefangenen etwas Brot und Wein – unter Aufsicht eines bewaffneten Offiziers, der blutjung aussah.
Sowie die Franzosen den Verschlag wieder verlassen hatten, fragte Hawthorne: »War das einer der Schiffsjungen? Dafür sah er recht gut gekleidet aus.«
»Das war einer der Midshipmen, Mr Hawthorne. Ein Aspirant , wie es in der französischen Marine heißt.«
»Aha, und was genau strebt er an?«, hakte der Leutnant der Seesoldaten nach. »Etwa lange Hosen?«
Es war einer von Hawthornes schlechteren Witzen, aber die anderen lachten trotzdem.
Als sich wieder ein Schlüssel im Schloss drehte, schauten alle zur Tür. Im Türrahmen erschien eben jener junge Bursche, der zum Ziel von Hawthornes Spott geworden war.
»Capitaine ’ayden?« , sagte der junge Mann. » Capitaine Lacrosse bittet Sie, ihm Gesellschaft zu leisten.«
Haydens Offiziere erhoben sich, als Hayden sich anschickte, den Verschlag zu verlassen. Rasch übergab er Archer das Kommando, für den Fall, dass er, Hayden, nicht zurückkehrte, ehe er dem jungen Franzosen folgte. Zwei bewaffnete Soldaten blieben hinter Hayden. Über den Niedergang erreichten sie das Quarterdeck des Vierundsiebzigers. Lacrosse stand an der Reling an Backbord. Hayden versuchte, im Vorübergehen einen Blick auf den Kompass im Nachthaus zu erhaschen, aber das gelang ihm nicht. Anhand des Stands der Sonne – es war Nachmittag – vermutete er, dass der Wind aus Nord-Nordwest kam und der Kurs Nord-Nordost war – vielleicht einen Strich weiter nach Ost. Die Themis war nicht zu sehen, auch kein anderes Schiff.
Lacrosse empfing ihn freundlich.
»Mir scheint, Capitaine Hayden, dass Sie mir nicht ganz die Wahrheit gesagt haben. Ihre Frau Mutter – also Ihre leibliche Mutter – ist Französin. Das geht deutlich aus den Briefen hervor.«
Hayden hatte geahnt, mit dieser Sache konfrontiert zu werden, und hatte sich daher eine Antwort zurechtlegen können. »Ich bitte um Entschuldigung, Capitaine Lacrosse, wenn ich Sie belogen habe. Wie Sie ja sicher bereits wissen, habe ich Verwandte in Frankreich. Ich fürchtete um ihre Sicherheit, falls herauskommt, dass eine Verbindung zu meiner Person besteht.«
Lacrosse hatte die Antwort zwar vernommen, schaute jedoch unentwegt aufs Meer hinaus, den westlichen Horizont im Blick. Eine Weile schwieg er. »Ich habe die Franzosen immer für kultiviert und menschlich gehalten«, sagte er dann, »aber ich musste erkennen, dass wir ein Volk von Wilden sind. Bei Ausbruch der Revolution war ich ein Lieutenant von sechsunddreißig Jahren, und obwohl ich einer adligen Familie entstamme – in Frankreich gibt es solche und solche adligen Familien, wenn Sie verstehen, was ich meine –, rechnete ich nicht mit einer baldigen Beförderung. Jetzt, kaum fünf Jahre später, bin ich ein Capitaine de vaisseau . Die meisten unserer Seeoffiziere – viele waren Adlige – wurden entlassen oder flohen. Ich bin geblieben, da ich Freunde in Paris habe und seit Langem etwas exzentrische Ansichten zur Regierung
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