Zu gefährlicher Stunde
Immerhin hatte er einen
Wagen, auch wenn’s eine Schrottkiste war.«
»Was für einen Wagen?«
»Einen alten VW-Bus. Eine echte
Hippiekutsche. Ein Wunder, dass der überhaupt noch fuhr.«
»Welche Farbe?«
»Dunkelgrün, aber hauptsächlich
rostfarben.«
»Erinnern Sie sich an das Kennzeichen?«
»Bei meinem Gedächtnis können Sie froh
sein, dass ich mich an Dan erinnere.«
Er parkte am Wegrand unter einem großen
Lorbeerbaum, dessen knorriger Stamm an die zwei Meter Durchmesser hatte.
»Vielleicht hat er noch Sachen im
Kühlraum. Wir sehen mal nach, wenn ich Ihnen die Stelle gezeigt habe, an der
Scott Wagners Leiche lag.«
Rios führte mich durch dichtes
Unterholz über einen Wildpfad, der schräg vom Weg abzweigte. Nach etwa fünfzig
Metern erreichten wir den Rand einer Schlucht. Auf unserer Seite fiel der Hang
sanft ab, doch gegenüber ragte eine gezackte Felswand empor.
»Das Flussbett ist jetzt ausgetrocknet,
aber letzten Monat war noch einiges an Wasser drin. Die Polizei sagte, Scott
hätte ebenso gut ertrinken können, selbst wenn die Verletzungen nicht tödlich
gewesen wären.«
Mein Blick wanderte hinauf zu der
verschlungenen Vegetation an der Felskante. »Was ist da oben?«
»Wiesen. Am Rand gibt es eine alte
Steinmauer. Wagner hat vermutlich den Weg an der Brücke beim Miwok-Dorf
verlassen und ist zur Wand hinaufgestiegen, um die Aussicht zu genießen. Hier
kann man nach Norden bis zum Mount Saint Helena und nach Süden bis zum Mount
Tamalpais sehen.«
»Aber warum hat er versucht, hier den
Fluss zu überqueren? Er muss doch gewusst haben, dass es unmöglich war.«
Rios zuckte die Achseln. »Ich nehme an,
er hat runter aufs Wasser geschaut und dabei das Gleichgewicht verloren. Die
Erde oben war aufgewühlt, lose Steine lagen herum, als wäre er ins Rutschen
gekommen. Haben Sie genug gesehen?«
»Ja.«
Wir gingen zum Jeep zurück. Rios
wendete schwungvoll. Ich hielt mich am Sitz fest, um das Geholper ein wenig zu
dämpfen. Er stoppte bei der alten Scheune.
Sie war an einer Seite offen, drinnen
war es dunkel bis auf einige Lichtstrahlen, die durch Löcher im rostigen
Wellblechdach drangen. Als wir näher kamen, suchten Mäuse und Ratten in
entfernten Winkeln Deckung, ein Gecko schoss an unseren Füßen vorbei. Rios
leuchtete mit einer Taschenlampe umher. Ein alter Traktor, Ölfässer, Werkzeug,
Eimer, Holzstapel, Wandschränke und Türen tauchten im Lichtstrahl auf.
»Ein Lager für Material und anderen
Kram, den keiner mehr haben will«, erklärte er. »Wenn man einen so großen Raum
hat, stopft man alles rein und vergisst es. Dahinten sind die Kühlräume, in
denen Dan geschlafen hat.«
Hinter der Scheune befand sich ein
Gebäude mit dicken Wänden und fehlenden Türen. Die hohen Fenster waren
zugenagelt. Rios führte mich hinein. Der erste Raum war kühl und feucht, roch
muffig und enthielt nur Mäusekot. Ich ging über den rissigen Betonboden und
spähte durch die nächste Tür. An der Wand lehnten verzogene Sperrholzplatten,
daneben stand ein rostiger Schreibtisch aus Metall. In einer Ecke lagen ein
zusammengerollter Schlafsack und ein Rucksack, der Boden war mit Budweiserdosen
und Kippen übersät.
Ich untersuchte den Schlafsack. Er war
abgenutzt, aber von guter Qualität, es war nichts darin versteckt. Der
ebenfalls abgenutzte Rucksack enthielt Kleidung zum Wechseln. In einer
Seitentasche fand ich ein leeres Röhrchen des Schmerzmittels Vicodin,
beschriftet mit dem Namen Dan Jeffers. Es stammte aus einer Apotheke im
Nachbarort Los Alegres, der in nördlicher Richtung am Highway 101 lag. Es war
vermerkt, dass es laut Rezept noch einmal nachgefüllt werden konnte.
»Darf ich das mitnehmen?«, fragte ich
Rios.
Achselzucken. »Warum nicht?«
»Danke.« Ich stand auf und steckte es
ein. Wir verließen den Raum durch eine zweite Tür, die zu einer kleinen Treppe
führte. Wenige Minuten darauf war ich wieder bei meinem Wagen. Als Rios
losfuhr, winkte ich und rief ihm noch einen Dank für die Tour durch den Park
hinterher.
Im Auto erwog ich kurz die Möglichkeit,
dass ich mich auf Abwege begab und Scott Wagners Tod eine zu große Bedeutung
beimaß. Dennoch war ich fasziniert von Rios’ kaum verschleierten
Verdächtigungen und dem Hippie, der verschwunden war, nachdem Rios Wagners
Leiche entdeckt hatte. Und Los Alegres war gar nicht weit.
Bevor ich mich auf den Weg nach Norden
machte, rief ich im Büro an. »Ist Craig in den Süden geflogen?«, erkundigte ich
mich bei
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