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Zu gefährlicher Stunde

Zu gefährlicher Stunde

Titel: Zu gefährlicher Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Raum selbst herrschte Chaos:
Auf dem Boden türmte sich Kleidung; auf einem niedrigen Tisch drängten sich
Fast-Food-Kartons und Bierdosen; auf einer ramponierten Couch lagen Zeitungen
und Zeitschriften verstreut. Die Wände waren mit zerrissenen Postern von
Grateful Dead gepflastert, die sich an den Rändern rollten; den Boden bedeckte
eine schmutzige Matte aus Chinagras; neben der geborstenen Lavalampe auf dem
Tisch hatte sich eine Pfütze gebildet.
    Ich drehte den Knauf der unteren
Türhälfte und trat ein. Die Luft war schal und heiß. Ich sah mich im Zimmer um.
Auf der Couch fand ich unter einem Chronicle vom 17. Juni einen
Aschenbecher voller Zigarettenkippen und Marihuanatüten. Ich ging die übrigen
Zeitungen durch, sie waren alle älter.
    Das Bad sah ebenso chaotisch aus wie
der Wohnraum, Handtücher lagen achtlos am Boden, die Armaturen waren verdreckt.
Im Medizinschrank Tablettenröhrchen, wild durcheinandergeworfen. Ich las die
Etiketten: verschiedene Schmerzmittel, Schlafmittel, eine Probepackung Zoloft —
ein Antidepressivum, für das im Fernsehen geworben wurde. Auf dem Wasserkasten
entdeckte ich eine billige leere Bourbonflasche.
    Beim Suchen wurde mir plötzlich kalt,
obwohl es im Haus so heiß war. Dann verschwamm alles vor meinen Augen, und ich
fühlte mich auf einmal seltsam losgelöst von meiner Umgebung. Ich griff nach
dem Türrahmen, drückte den Kopf in die Armbeuge.
    Mein Gott, es ist genau wie in Joeys
verfluchtem Wohnwagen in Anchor Bay. Der letzte Ort, an dem er gelebt hatte,
bevor er nach Humboldt County zog und sich umbrachte...
    Das Gefühl verging bald, und ich kehrte
in den Wohnraum zurück. Ich mahnte mich, keine Parallelen zwischen meinem
Bruder und Dan Jeffers zu ziehen, doch die Situation hatte etwas von einem Déjà
vu: Ich hatte mir Joeys Wohnwagen angesehen und herausgefunden, wie schlimm es
um ihn bestellt war. Und dann erfahren, dass er sich das Leben genommen hatte.
Nun war ich zu Dan Jeffers’ letzter bekannter Adresse gefahren, hatte
herausgefunden, wie schlimm es um ihn bestellt war, und...
    Das ist keine logische Folge, McCone. Höchstens
eine Überreaktion auf vergleichbare negative Umstände.
    Mein Telefon summte. Mick.
    »Sieht aus, als wäre der Name gar nicht
so häufig, jedenfalls nicht in Cloverdale. Ich habe nur zwei gefunden. Willst
du die Adressen und Telefonnummern haben?«
    »Ja, bitte.« Das konnte ich auch noch
übernehmen.
     
    Cloverdale, am Highway 101 gelegen, ist
die nördlichste Stadt nennenswerter Größe in Sonoma County. Sie schmiegt sich
in ein Tal am Ufer des Russian River, wo die Weinberge in Redwood-Wälder
übergehen. Vor Jahren führte der Highway noch als Hauptstraße durch den Ort,
was den einheimischen Geschäftsleuten viele Kunden brachte, doch irgendwann
wurde eine Umgehungsstraße gebaut, worauf die meisten Autofahrer Cloverdale
links liegen ließen. Danach ging es auch mit der Holzindustrie, dem
wirtschaftlichen Rückgrat der Stadt, bergab. Die Stadt stand kurz vor dem Ruin,
als sie von Leuten wiederentdeckt wurde, denen die Immobilienpreise in der Bay
Area zu teuer waren. Als ich vom Freeway abbog, entdeckte ich neue
Einkaufszentren und Wohngebiete, die infolge der Zuwanderung gebaut worden
waren.
    Es war schon nach zwei, und ich hatte
seit meinem Frühstück aus Kaffee und Multivitaminsaft nichts mehr zu mir
genommen. Am südlichen Ortsrand fand ich das Owl Café. Ich war öfter daran
vorbeigefahren und wollte schon immer mal reinschauen. Warum nicht jetzt? Die
großen Laster auf dem Parkplatz deuteten auf eine gute Küche hin. Ich parkte,
rief aber vom Auto aus erst die Nummern an, die Mick mir durchgegeben hatte.
Bei der ersten teilte mir der Anrufbeantworter mit, dass ich bei Susan und John
Jeffers gelandet sei. Ich hinterließ keine Nachricht. Die Frau, die sich unter
der anderen Nummer meldete, klang misstrauisch, als ich mich nach Dan Jeffers
erkundigte. Ja, sie sei seine Schwägerin Patty. Ob ich später vorbeischauen und
mit ihr über Dan reden könne? Sie zögerte, war dann aber einverstanden.
    Im Café bestellte ich einen
Cheeseburger und überlegte mir verschiedene Strategien, während ich auf mein
Essen wartete. Es ist nicht einfach, den Widerstand von Angehörigen zu
überwinden, die die Person schützen wollen, gegen die man ermittelt. Falls
diese Person jedoch in Schwierigkeiten ist oder vermisst wird, begegnen einem
die Angehörigen offener, weil sie hoffen, etwas Neues zu erfahren oder neuen
Mut schöpfen. Bei Dan

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