Zu gefährlicher Stunde
beantworten.«
Er stülpte wieder die Kappe über sein
langes schwarzes Haar, setzte sich auf den Brunnenrand und klopfte auffordernd
neben sich auf den Beton. »Wenn ich nicht bald Pause mache, kriege ich noch
einen Hitzschlag. An solchen Tagen frage ich mich, warum ich mir keinen Job in
einem netten klimatisierten Büro suche. Wenn das Ding hier voll wäre, würde ich
glatt reinspringen.«
Ich setzte mich neben ihn, gab ihm
meine Karte und stellte mich vor. Der Mann betrachtete die Karte. »Ich bin Ray
Rios, Parkpfleger. Sie haben einen weiten Weg auf sich genommen, Ms McCone.«
»Ein Klient hat mich gebeten, einen
tödlichen Wanderunfall zu untersuchen, der sich letzten Monat hier ereignet
hat.«
»Sie sprechen wohl von Scott Wagner.
Ist der einzige Todesfall dieser Art, den wir hier in all den Jahren gehabt
haben. Ich habe die Leiche gefunden. Tödlicher Sturz. Warum sollte Sie jemand
dafür bezahlen, so etwas zu untersuchen?«
»Mein Klient ist ein Verwandter von Mr
Wagner, und er möchte, dass der Fall abgeschlossen wird. Sie wissen ja, wie das
läuft.«
Rios nickte. »Es war an einem
Montagmorgen. Dreiundzwanzigster Juni, das vergesse ich nie. Ich arbeitete
gerade an einem kaputten Dränagerohr, da oben, hinter dem Miwok-Dorf. Im
Frühjahr kommt immer viel Tauwasser runter. Es wird in den Rohren gesammelt und
in den Fluss geleitet, um die Erosion zu stoppen. Ich wollte gerade zum Jeep,
um Werkzeug zu holen, da sah ich was Blaues in der Klamm. Ich kletterte runter
und sah, dass es eine Leiche war, die mit dem Gesicht im Wasser lag. Ich drehte
sie um und erkannte Scott. Sein Schädel war ganz eingedrückt. Das Gesicht sah
auch schlimm aus.«
»Sie kannten ihn also.«
»Wie die meisten hier. Er kam ein- oder
zweimal im Monat zum Wandern her.«
»Ein weiter Weg aus der Stadt, nur um
zu wandern.«
»Scott erzählte mir mal, dass er in
Novato aufgewachsen und dort schon als Kind gewandert sei. Vermute, er fühlte
sich dem Land verbunden. Er war ein anständiger Kerl, hat Geld für wohltätige
Zwecke gesammelt. Hat uns einen Zuschuss angeboten, damit die Restaurierung
weiterlaufen kann, aber er ist gestorben, bevor wir etwas unternehmen konnten.«
»Das Haus sieht aus, als könnte es eine
Restaurierung vertragen.« Ich deutete auf das Backsteinhaus mit dem
schindelgedeckten Anbau.
Rios nickte. »Das alte Herrenhaus von
Camillo Initia. Später das Heim der Familie Burdell. Der Ort hier hat
Geschichte. Spanische Landzuteilung, Schauplatz einer Schlacht während der
Bear-Flag-Rebellion um 1840 herum. Initia verkaufte den Besitz dann an eine
reiche Familie aus Marin — die Blacks. Zehn Jahre später erbte ihn die Tochter
Mary Olompali, als sie Galen Burdell heiratete, den Zahnarzt aus San Francisco,
der das Zahnpulver erfunden hat. Sie hat auch diesen Park hier angelegt. Die
alte Mary liebte Pflanzen. Reiste für manche bis nach Japan und konnte sie hier
sogar kultivieren.«
Er schüttelte den Kopf und grinste
schief. »Trotzdem eine verrückte Familie. Marys Stiefmutter starb an
Blutverlust oder so, während Doc Burdell sie an den Zähnen operierte. Danach
enterbte Black Senior Mary und verfiel dem Alkohol. Er kam immer noch zum
Reiten her und war dabei so betrunken, dass sie ihn im Sattel festbinden
mussten. Als nach seinem Tod das Testament verlesen wurde, war Mary so sauer
über die Enterbung, dass sie seine Unterschrift abriss und aufaß. Wurde
verhaftet, war ein Riesenskandal.«
Ich fand das alles sehr interessant und
wäre unter normalen Umständen geradezu fasziniert von der verrückten Familie
gewesen, da ich selbst so eine besaß. Doch Rios’ Geschichten halfen mir
überhaupt nicht weiter. »Könnten Sie mich ein wenig herumführen? Mir die Stelle
zeigen, an der Sie Scott Wagners Leiche gefunden haben?«
»Klar.« Rios stand auf. »Mein Jeep
steht da drüben hinter der Steinbrücke.«
Als wir auf die Treppe vor dem
Backsteinhaus zugingen, sagte er: »Vermutlich können Sie sich gar nicht
vorstellen, dass das mal ein Herrenhaus mit sechsundzwanzig Zimmern war, ein
richtig schicker Landsitz. Blieb bis zum Zweiten Weltkrieg im Familienbesitz
der Burdells, danach haben sie es verkauft. Nachher haben hier alle möglichen
Leute gewohnt. Jesuiten nutzten es für ihre Besinnungstage. Ende der Sechziger
gab es hier eine Hippiekommune, die haben das Haus bei einer Nudistenhochzeit
beinahe abgefackelt. Die Grateful Dead hatten es auch mal gemietet — war eine
wilde Zeit.« Nachdenklich hielt er inne.
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