Zu gefährlicher Stunde
»Da wir gerade von den alten Zeiten
sprechen — eines könnte Sie vielleicht interessieren.«
Wir standen vor einem Jeep, der hinter
einer Wegbiegung parkte. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz. »Was denn?«
»Lange Zeit hat hier ein Typ
herumgehangen, hieß Dan Jeffers. Ein Überbleibsel der Kommune, die Hippies
waren in den Siebzigern ausgezogen. Mitte der Neunziger tauchte er wieder auf.
Vermutlich hat er hier die beste Zeit seines Lebens verbracht und fühlte sich
irgendwie zu Hause. Komischer Typ; man merkte, er hatte zu viele Drogen
genommen und war immer noch auf dem Trip. Kein übler Kerl, er tat mir irgendwie
leid. Er hatte auch einen festen Wohnsitz, in Novato oder oben in Los Alegres,
darum verschwand er manchmal monatelang. Ab und zu kam er wieder hierher und
bot an, Hilfsarbeiten zu übernehmen, wenn er dafür in einem der Kühlräume neben
der alten Scheune schlafen durfte. Ich hab ihn gelassen. Hätte ich wegen der
Versicherung eigentlich nicht gedurft, aber der Boss musste es ja nicht
erfahren. Dan hat auch nie Schwierigkeiten gemacht. Das Problem ist nur, dass
er auch in der Woche, bevor Scott Wagner starb, in dem Kühlraum war. Und
verschwunden ist, sowie ich die Leiche gefunden hatte. Seither hab ich ihn
nicht mehr gesehen. Da kommt man schon ins Grübeln.«
»Worüber?«
»Na ja, ob er was gesehen und Angst
bekommen hat.«
»Wollen Sie damit sagen, Wagners Tod
könnte etwas anderes als ein Unfall gewesen sein?«
Rios presste die Lippen zusammen und
schoss mit dem Jeep die ungepflasterte Straße entlang. »Ich sage gar nichts.
Mache mir nur meine Gedanken.«
Er fuhr zügig an einem alten
Pferdestall mit Kuppeldach und einer Ansammlung kleiner weißer Gebäude vorbei —
ich erfuhr, dass sich darin früher die Hufschmiede und eine Unterkunft für
Rancharbeiter befunden hatten. Die Häuser schmiegten sich an einen Hang, an dem
einer der größten Lorbeerbäume wuchs, die ich je gesehen hatte. »Wenn man
rechts runterfährt, kommt man zu den neuen Unterkünften für die Parkmitarbeiter.«
Ich folgte seinem ausgestreckten Finger
und entdeckte ein Stück weiter neben einer ungepflasterten Straße, die zum
Freeway führte, eine Gruppe von Mobilheimen. Dann fuhr Rios langsamer, bog ins
hohe Gras ab, um einem Schlagloch auszuweichen, und zeigte auf eine baufällige
Wellblechkonstruktion zu unserer Linken. »Die alte Scheune, in der ich Dan
Jeffers habe schlafen lassen.«
Der Weg wurde schmaler, holpriger und
stieg an, Eichen, Lorbeer- und Menzieserdbeerbäume rückten näher heran. Wir
überquerten eine Brücke, die über einen Bach führte, fuhren um eine Kurve und
gelangten auf eine große Lichtung, auf der mehrere rustikale Hütten aus Rinde
und Schilfrohr standen.
»Das Miwok-Dorf«, sagte Rios. »Die
Stammesmitglieder bauen es nach den alten Methoden, um zu zeigen, wie ihre
Leute früher gelebt haben. Die Miwok leben seit sechstausend vor Christus in
diesem Gebiet. Olompali bedeutete ›Küchenstein‹; sie haben auf Steinen gekocht.
Aber das Dorfprojekt wurde gestoppt. Das alte Lied — kein Geld mehr da. Aber
das wissen Sie sicher alles, Sie sehen jedenfalls auch etwas indianisch aus.«
»Ich bin — Shoshonin.« Es war noch
immer ungewohnt, dieses Erbe für mich zu beanspruchen. Bevor ich erfahren
hatte, dass ich adoptiert worden war und meine leiblichen Eltern fand, hatte
ich mich für halb schottisch, halb irisch mit einem Achtel Shoshonen-Blut
gehalten. Und glaubte, mein Aussehen einem rezessiven Gen zu verdanken, das ich
von meiner Urgroßmutter geerbt hatte. Doch es stimmte, was Rios sagte: »kein
Geld« war das alte Lied, das die Ureinwohner nur zu gut kannten. Mein leiblicher
Vater, der Künstler Elwood Farmer, investierte Zeit und Geld, um
unterfinanzierte Reservatsschulen im Westen Montanas zu unterstützen.
Der Weg wurde noch schmaler, war von
Löchern gefurcht. Rios schaltete herunter und umfuhr die schlimmsten.
»Was wissen Sie über diesen Dan
Jeffers? Woher kommt er? Wovon lebt er?«
»Ich glaube, er kommt aus dem Norden.
Vielleicht aus Mendocino County. Einmal hat er mir geholfen, Burdells alte
Orangenbäume zu beschneiden. Dabei erwähnte er das Zitrusfest in seiner Heimatstadt.
Wovon er lebt, weiß ich auch nicht, viel gearbeitet hat er wohl nicht.
Womöglich andere Gelegenheitsjobs. Manchmal sammelte er Recyclingzeug aus den
Mülltonnen und ließ sich Geld dafür geben. Mag sein, dass er eine Rente bekommt
— die kriegen viele von diesen ausgebrannten Junkies.
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