Zu Grabe
also herausfinden, wie es in die Särge gelangt ist.«
Morell verzog angewidert das Gesicht und legte den Teller, den er gerade abwaschen wollte, beiseite. »Gut, dann werde ich mal eine Tür weiter zu Frau Horsky gehen und fragen, ob sie eine Idee hat.«
Capelli nahm den Teller und machte mit dem Abwasch weiter. »Viel Spaß im Fegefeuer nebenan«, sagte sie zwinkernd.
Morell lächelte. »Ich habe in den letzten Tagen bereits einige Zeit in einem Sarg und in einer Leichen-Kühlkammer verbracht. Glaub mir – ein kleiner Besuch im Fegefeuer ist wie Urlaub dagegen.«
Frau Horsky war entzückt über den späten Besuch. »Was für eine Überraschung!«, strahlte sie und winkte Morell herein. »Jetzt habe ich gar nichts Leckeres für Sie zum Essen.«
»Das ist auch besser so«, entgegnete er. »Wie ich Ihnen ja bereits erzählt habe, bin ich auf Diät, und da ist es gut, wenn Sie mich nicht ständig in Versuchung führen.« Er ließ sich auf das Sofa fallen.
»Aber zu einem kleinen Likörchen sagen Sie nicht nein, oder?«
»Ein Wasser wäre mir lieber.«
Frau Horsky verdrehte die Augen und schlurfte in die Küche. »Das ist doch kein Leben so«, murmelte sie und schüttelte den Kopf.
»Einmal Wasser. Bitte schön«, sagte sie, als sie aus der Küche zurückkam, und stellte ein Glas vor Morell auf den Tisch. »Also, was gibt es Neues?«
»Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich durch den Kontakt mit einem Sarg einen Ausschlag bekommen habe. Es hat sich nun herausgestellt, dass er durch eine Chemikalie namens Formaldehyd verursacht worden ist. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie dieses Zeug in den Sarg gekommen sein könnte?«
Frau Horsky wurde blass um die Nase. »Was war das für ein Sarg?«, fragte sie. »Einer von den teuren?«
Morell bejahte. »Ein großer Klappsarg, und außerdem fand sich die Chemikalie auch noch in einem teuren Mahagonisarg.«
»Und an den billigen Kremationssärgen war nichts?«
»Nein, die waren in Ordnung.«
Frau Horsky riss die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund. »Mein Gott«, murmelte sie. »Diese widerlichen Menschen!«
Der Chefinspektor trank einen Schluck Wasser und wartete, dass sie weiterredete.
»Ich dachte immer, dass es das nicht wirklich gibt, zumindest nicht hier in Wien.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf und schenkte sich ein Glas Pfefferminzlikör ein. Die Farbe des Getränks war so unnatürlich giftgrün, dass Morell froh war, nicht auf das Angebot der alten Dame eingegangen zu sein. Nachdem sie einen großen Schluck genommen hatte, fuhr sie fort. »Es gab da mal das Gerücht, dass es in den USA ein paar respektlose Bestatter gegeben haben soll, die auf entsetzliche Art und Weise Geld verdienten: Sie haben teure Särge an die Angehörigen verkauft, die Toten dann in diesen Särgen aufgebahrt, sie aber kurz vor der Bestattung oder Kremation in die billigsten Särge umgebettet. Auf diese Art und Weise haben sie die teuren Särge immer wieder aufs Neue verkauft und einen riesigen Gewinn gemacht.«
Morell fasste sich an die Wange und unterdrückte ein Würgen. »Sie meinen also, dass die Konservierungsflüssigkeit direkt aus einem Toten in den Sarg gesickert ist … und ich … ich …«
»Sie haben sich reingelegt«, vervollständigte Frau Horsky den Satz. »Prost«, sagte sie und nahm noch einen Schluck von dem Likör.
»Kann ich jetzt bitte auch einen bekommen?«
»Aber natürlich.« Die alte Dame stand auf, um ein Glas zu holen. »Diese widerlichen Menschen«, wiederholte sie. »Und das bei uns hier in Wien. Nie im Leben hätte ich mir das gedacht. Kein Wunder, dass es der Pietät immer viel besser ging als Memento. Mein Sohn hat immer ehrlich und anständig gearbeitet. Grausig ist das. Grausig, schlecht und würdelos!«
Morell kippte den picksüßen Likör auf ex hinunter. »Sonst noch irgendwelche Gerüchte aus den USA , die ich kennen sollte?«
»Ja, aber ich will sie gar nicht erzählen – die sind viel zu schlimm.« Frau Horsky fächerte sich mit der Hand Luft zu.
»Wenn ich das Verschwinden Ihres Sohnes aufklären soll, dann muss ich alles wissen. Alles. Verstehen Sie?«
Frau Horsky nickte und nippte an ihrem Likör. »Allein der Gedanke daran verursacht mir Herzrasen. Wenn ich einmal tot bin – was sehr bald sein kann –, dann versprechen Sie mir, dass Sie darauf achtgeben, dass meine sterblichen Überreste in die Hände von anständigen Menschen gelangen.«
Morell schenkte sich nach. »Versprochen. Aber jetzt
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