Zu Grabe
Zwischenzeit über die Ergebnisse der Proben aus der Pietät reden?«
»Gleich … Ja … Wart kurz … HA !« Sie hielt Morell triumphierend das Kästchen entgegen. »Ich hab’s geschafft. Was sagst du jetzt?«
Er nahm die kleine Schatulle entgegen und hob den Deckel hoch. »Du wirst mir langsam unheimlich.«
»Und? Was ist drin?«
Morell griff hinein und holte einen Stapel Fotos und Papiere heraus. »Interessant.« Er drehte eines der Fotos um und versuchte das Datum, das auf der Rückseite vermerkt war, zu entziffern. »Das sind tatsächlich Bilder, die am Tell Brak aufgenommen worden sind.« Er legte ein Gruppenfoto vor Capelli auf den Tisch. »So oder so ähnlich muss das Bild ausgesehen haben, das aus Novaks Büro gestohlen wurde.«
»Was ist sonst noch drin?« Capelli hibbelte nervös herum.
Morell ging die Papiere durch. »Eine Lohnabrechnung, eine Landkarte von Syrien und ein paar Belege«, zählte er auf. »Das hier könnte interessant sein.« Er faltete ein bräunlich verfärbtes DIN -A4-Blatt auseinander. »Scheint ein Brief zu sein. Von einer gewissen Theresia.«
»Theresia wie noch?«
Morell wendete das Blatt und schüttelte den Kopf. »Hier steht kein Absender drauf, und sie hat nur mit ihrem Vornamen unterschrieben.« Er wühlte in den restlichen Sachen. »Kein Umschlag«, sagte er dann und begann laut vorzulesen:
Wien, am 15. Juli 1978
Lieber Johannes,
ich wende mich heute voller Verzweiflung an Dich, da sowohl Wilfried als auch Vitus sich weigern, mir die Wahrheit über meinen Gustaf zu erzählen.
Ich will und kann es nicht glauben, dass er einfach so, ohne ein Wort des Abschieds oder des Bedauerns in Syrien geblieben ist. Noch weniger kann ich glauben, dass der Grund seines Fortbleibens eine andere Frau sein soll. Gustaf und ich waren sehr glücklich miteinander und haben häufig über unsere gemeinsame Zukunft gesprochen.
Ich kann darum die Geschichte, dass Gustaf sich unsterblich verliebt hat und deshalb nicht zu mir zurückkommt, nicht so einfach akzeptieren und bitte Dich daher, nein, ich flehe Dich sogar an, mir die Wahrheit zu sagen.
Geh und erforsche Dein Gewissen, und dann melde Dich bei mir! Keine Wahrheit kann so grausam und schrecklich sein wie eine Lüge.
Alles Liebe,
Theresia
»Ha. Ich wusste doch die ganze Zeit, dass an der Harr-Story etwas faul ist. Niemand bleibt einfach so in einem fremden Land und bricht alle Brücken nach daheim ab.« Morell nickte zufrieden und öffnete die Ofentür, um die Soufflés herauszuholen.
Capelli begann den Tisch zu decken. »Und jetzt? Was tun wir nun?«
»Ich werde morgen zu Weber gehen und noch einmal versuchen, mit ihm zu reden.« Morell wurde zwar allein bei dem Gedanken daran, sich mit Weber zu treffen, schon übel, aber in Anbetracht aller Fakten war es wohl das Beste. Weber verfügte über ganz andere Mittel und Wege. Für ihn war es bestimmt leichter, Harr zu finden und eine große Ermittlung in die Wege zu leiten.
Capelli nickte. »Du hast wahrscheinlich recht.«
»Gut, dann hätten wir das abgehakt und können uns jetzt um das nächste Problem kümmern.« Morell stellte das Essen auf den Tisch und griff nach der Mappe mit den Auswertungen der Proben. »Ich verstehe nur Bahnhof«, sagte er, als er einen ersten Blick darauf geworfen hatte. »Ich glaube, das musst du mir erklären.«
»Lass uns aber erst essen. Es ist zwar Diät-Küche, riecht aber trotzdem phänomenal!«
Nach dem Essen griff die Gerichtsmedizinerin sofort nach den Papieren. »Die Proben der Totenhemden, Kremationssärge und Urnen sind in Ordnung«, sagte sie. »Bei denen liegt alles im normalen Bereich. Aber die Probe der Innenausstattung des Sargs, in dem du gelegen hast, und die von einem anderen Sarg sind auffällig.«
»Inwiefern?« Morell machte sich daran, die Teller abzuspülen.
»Es befindet sich eine sehr hohe Konzentration an Formaldehyd in ihnen.«
»Formaldehyd?«
»Das ist eine ziemlich giftige chemische Verbindung. Es ist also kein Wunder, dass du davon Ausschlag bekommen hast.«
»Und ist es normal, dass diese Chemikalie in Stoffen oder Hölzern vorkommt?«
»Nein – zumindest nicht in solchen Mengen.«
Morell fasste sich unbewusst an die Wange und fing an zu reiben. »Und wie kommt das Zeug dann in die Särge?«
Capelli zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Prinzipiell ist Formaldehyd ein Stoff, der in Bestattungsunternehmen häufig gebraucht wird – und zwar um Leichen zu konservieren. Man müsste nun
Weitere Kostenlose Bücher