Zu Grabe
hörte aufmerksam zu und nickte andächtig. »Interessant«, sagte er. »Mir selbst ist die Verbindung zwischen Novak und Meinrad auch schon aufgefallen, und ich habe auch Roman bereits darauf angesprochen.« Er strich sich übers Kinn. »Ich werde ihm deine Geschichte erzählen, aber ich bezweifle, dass er so schnell darauf einsteigen wird. In seinen Augen ist Lorentz ohne Zweifel der Mörder, und er ist fest davon überzeugt, dass der Schuldige im Fall Meinrad in der Wiener Schwulenszene zu suchen ist. Du kennst ihn doch. Erst wenn seine eigenen Ideen sich als Sackgasse herausstellen, wird er andere Meinungen zulassen.«
Morell stöhnte. »Das ist nicht gut«, sagte er. »Wir müssen schnell handeln. Es ist gut möglich, dass die anderen Männer auf dem Foto auch in Gefahr schweben.«
Wojnar stimmte ihm zu. »Okay. Ich werde Roman gleich anrufen und ihm alles erzählen. Sollte er auf stur schalten und darauf bestehen, erst seine eigenen Theorien zu verfolgen, dann werde ich auf eigene Faust versuchen, diesen Harr zu finden, während du in der Zwischenzeit die Ausgrabungsteilnehmer warnst. Wir dürfen nicht zulassen, dass es noch einen Mord gibt.«
Morell nickte und streckte Wojnar seine Hand entgegen. »So machen wir das«, sagte er. »Ach ja – eines noch. Es wäre mir ganz recht, wenn du meinen Namen und auch den von Frau Capelli so weit wie möglich aus dem Spiel lassen könntest. Das würde uns viel Ärger ersparen. Du weißt ja, wie Roman ist – er hasst es, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischt.«
Wojnar schüttelte Morells Hand. »Ich weiß«, sagte er. »Am besten schiebe ich alles auf einen anonymen Anruf.«
»Wunderbar. Dann bis später.«
»Manche Menschen leben bloß für eine gute Grabinschrift …«
Henry de Montherlant
Die Sache mit dem ominösen Thomas Reiter in der Pietät ließ Weber keine Ruhe. In den letzten Tagen hatte sich diese Geschichte immer wieder in sein Hirn gedrängt. Und da er gerade ein bisschen Zeit zur Verfügung hatte, entschloss er sich, jetzt gleich im Bestattungsinstitut anzurufen und zu fragen, ob Herr Reiter anwesend war. Und falls ja, würde er sofort dorthin fahren und dessen wahre Identität herausfinden – jede Wette, dass es sich dabei um den dicken Otto Morell handelte.
»Na warte, Otto«, sagte er laut, griff zum Telefon und wählte die Nummer der Pietät. »In dieser Sache ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.«
Das Telefon läutete und läutete und läutete, aber keiner hob ab. Nach dem achten Rufton sprang der Anrufbeantworter an. Weber, der keine Lust hatte, eine Nachricht zu hinterlassen, legte wieder auf. Wo waren die bloß? Sollte ein Bestattungsunternehmen denn nicht rund um die Uhr erreichbar sein? Der Tod kannte immerhin keine geregelten Ladenöffnungszeiten.
Er lehnte sich zurück und trank einen Schluck Kaffee. Früher oder später würde sich die Sache wahrscheinlich von alleine regeln. Die Pietät war, wie er recherchiert hatte, nämlich ein äußerst professionelles und seriöses Unternehmen. Die Mitarbeiter würden sicher nicht auf den trotteligen Morell hereinfallen und dessen Undercoveraktion bald auffliegen lassen. »Und dann, mein lieber Otto«, sagte er, »werde ich da sein und dir ordentlich die Leviten lesen.«
Weber steckte sich einen Zahnstocher in den Mund und legte die Füße auf den Tisch. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, dachte er und grinste.
»Geheimnisse, mit ins Grab genommen,
lassen dem Toten keinen Platz.«
Manfred Hinrich
Diesmal würde er es schlauer anstellen. Ein solches Desaster wie bei Meinrad durfte kein zweites Mal passieren. Er würde vorsichtiger sein. Überlegter. Alles besser durchdenken und planen. Darum würde er jetzt losziehen, um sein nächstes Opfer auszuspionieren. Er wollte so gut wie möglich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Er zog sich die Schirmmütze noch tiefer ins Gesicht, stellte den Kragen seiner Jacke hoch und stieg in den Bus. Mal sehen, wie Uhl so lebte, was für Gewohnheiten er pflegte und wie viele Nachbarn er hatte. Diesmal würde alles anders werden. Diesmal würde er erfahren, was er wissen wollte.
Morell saß samt der großen Urne auf dem Schoß an der Straßenbahnhaltestelle und wartete auf die Bim, mit der er zu Frau Horsky fahren wollte, als sein Handy läutete. Er kramte es umständlich aus der Hosentasche und hob ab.
»Hallo, Otto, hier spricht Theo. Ich wollte dir nur kurz Bescheid sagen, dass Roman genauso reagiert hat, wie wir
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