Zu Grabe
fröstelte, schaltete er die Heizung des Wagens ein. Er war ein vielbeschäftigter Mann und hatte keine Zeit für Schnupfen, Halsweh und all das andere lästige Zeug, das der Herbst so mit sich brachte. Und außerdem – wie würde das denn aussehen? Er, der Held von Wien, ausgeschaltet von ein paar popeligen Viren. »Ich brauche dringend einen Kaffee«, konstatierte er, drehte die Heizung noch etwas höher und bog in die Josefstädter Straße ein. »Wenn ich mich nicht täusche, gibt es gleich da vorne eine nette, kleine Bäckerei, die schon offen hat.«
Wojnar nickte zustimmend und zeigte dann auf einen Zeitungsverkäufer, der am Straßenrand stand. »Sag mal – erscheint heute nicht dein Interview?«
»Doch!« Wie hatte er das nur vergessen können?! Weber legte mit quietschenden Reifen eine Vollbremsung vor dem jungen Pakistaner hin, der beim Anblick der beiden Polizisten verunsichert die Hände in die Höhe hob.
»Keine Sorge«, sagte der Chefinspektor gönnerhaft. »Wir wollen deine Arbeitsgenehmigung gar nicht sehen. Gib mir einfach nur ein Exemplar von diesen da.« Er zeigte auf einen Stapel Zeitungen. »Oder weißt du was – gib mir gleich zwei, oder sagen wir fünf davon.«
Nachdem er dem verstörten Mann ein dickes Trinkgeld gegeben hatte, raste Weber zur Bäckerei – er konnte es kaum erwarten, den Bericht zu lesen.
»Bleib du nur sitzen und schau dir den Artikel an.« Wojnar stieg aus. »Ich hole uns schnell Kaffee und ein paar Croissants.«
Weber nickte, blätterte voller Vorfreude auf Seite drei – und erstarrte. Was sollte denn das? Etwas Schlimmeres hätten ihm die dummen Zeitungsheinis nicht antun können: Sie hatten seinen Namen falsch geschrieben. Er hieß WEBER , nicht WEHNER ! Wie um alles in der Welt hatte nur so etwas passieren können? Verärgert warf er alle fünf Zeitungen auf den Rücksitz und umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Einmal im Leben passierte ihm etwas Gutes. Einmal im Leben war er der Star, der Held, der Mann der Stunde. Und dann? Dann vermasselten ihm diese ignoranten Pressefuzzis seine fünfzehn Minuten Ruhm, indem sie ihn Roman Wehner nannten. Am liebsten hätte er die Reporter verhaftet und wegen akuter Dummheit eingesperrt. Nachdem das aber leider nicht ging, musste er seinem Zorn irgendwo anders Luft machen – aber wo? Unvermittelt fiel ihm sein Verdacht bezüglich Morell wieder ein.
Wojnar riss Weber aus seinen Überlegungen, indem er die Beifahrertür öffnete und seinem Kollegen einen Becher mit dampfendem Kaffee und eine Tüte mit zwei Croissants unter die Nase hielt. »Na, wie ist der Artikel? Lass mal sehen!«, sagte er und stieg ein.
»Frag einfach nicht«, grummelte Weber, startete den Wagen und fuhr so abrupt an, dass Wojnar beinahe seinen Kaffee verschüttete.
»Hey, was ist denn jetzt los? Haben wir einen Einsatz, oder warum hast du es so eilig?«
»Frag einfach nicht«, wiederholte Weber, und Wojnar entschied, dass es wohl das Beste war, einfach den Mund zu halten. Weber hatte vor drei Wochen aufgehört zu rauchen und versetzte seither die ganze Abteilung mit seinen unkontrollierbaren Launen in Angst und Schrecken. Er nahm einen großen Bissen von seinem Croissant, schaute zum Fenster hinaus und schwieg. Er sagte auch nichts, als sein Kollege wenige Minuten später den Wagen unsanft im Parkverbot vor der Pietät abstellte.
»Bin gleich wieder da«, sagte Weber und stieg aus. Sollte sich herausstellen, dass der ominöse Thomas Reiter wirklich Otto Morell war, dann sollte sich dieser lieber warm anziehen!
Er ging mit entschlossenem Schritt zum Eingang, zögerte dort aber einen Moment. Es war erst kurz nach sieben – ob das Bestattungsinstitut wohl schon offen hatte? Sollte es eigentlich – der Tod hielt sich schließlich an keine Öffnungszeiten. Er zog an der Tür, die tatsächlich aufging, und betrat den Ausstellungsraum – keiner da. Er nahm einen Schluck Kaffee und sah sich um. Urnen, Särge, Totenhemden, Kruzifixe und Kerzen so weit das Auge reichte. Ein leichter Schauer rann Webers Rücken hinunter, als unangenehme Erinnerungen an den Tod seines Vaters in ihm hochstiegen. » HALLLOOO ?!«, rief er ungeduldig.
Jedler wollte gerade in den Keller gehen, als die Eingangstüre bimmelte. »Nicht schon wieder Kundschaft«, stöhnte er. »Dafür habe ich jetzt echt keine Zeit.« Er wandte sich an Morell. »Sieht so aus, als müsstest du das übernehmen. Oder hast du auch vergessen, wie man ein
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