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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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jetzt tun? In der Garage konnte er schlecht bleiben, da Jedler jeden Moment auftauchen konnte, um ins Altersheim zu fahren. Die Tatsache, dass er hier drinnen hockte anstatt oben ein Beratungsgespräch zu führen, würde ihn in ziemlichen Erklärungsnotstand bringen. Ihm blieb also nur der Weg zurück.
    Gerade als er die Garagentür vorsichtig hinter sich schloss, hörte er Schritte am oberen Ende der Treppe. Das unverkennbare Klick-Klack von Stöckelschuhen verriet ihm, dass es sich dabei um Frau Summer handeln musste.
    »Herr Reiter?!«, rief sie auch schon. »Sind Sie irgendwo da unten? Hier möchte jemand mit Ihnen sprechen.«
    Morell überflog die Optionen, die ihm blieben: Kühlkammer oder Lager. Die Wahl fiel ihm nicht schwer – das Lager war das kleinere Übel, und außerdem war es näher.
    So leise wie möglich schlich er sich ran, öffnete die Tür und schlüpfte hinein. Gerade noch rechtzeitig, denn die Schritte waren jetzt ganz nah. Es handelte sich um zwei Personen, die, wie es schien, zum Thanatopraxieraum gingen.
    »Geh, Sebastian, sag, ist der Herr Reiter schon da?«, hörte er Frau Summer fragen.
    »Jep, der ist gerade oben und berät einen Kunden.«
    »Nein, das tut er nicht.« Das war Webers Stimme. »Wo sonst könnte er sein?«
    »Vielleicht sucht er was im Lager.«
    »Das wäre möglich – ich werde nachsehen. Danke, Sebastian.«
    Erneut ertönte das Klick-Klack von Frau Summers Schuhen auf dem harten Fliesenboden.
    Nun saß er also in der Falle. Nur mit Mühe unterdrückte Morell ein lautes Fluchen. Er musste von hier verschwinden oder sich verstecken, bevor Weber und Summer hereinkamen. Mit einem prüfenden Blick scannte er den Raum: Die beiden Fenster kamen als Fluchtweg nicht in Frage, da sie viel zu hoch oben, zu klein und außerdem vergittert waren. Er musste also einen Schlupfwinkel finden: Hinter den Schachteln mit den Totenhemden? Die waren nicht breit genug. Unter dem Regal? Zu schmal. Hinter den Kisten mit den Urnen? Die waren schwer, und er hatte nicht genug Zeit, um sie zu verrücken.
    Sein Blick blieb an dem amerikanischen Klappsarg Modell Kennedy hängen, der im hinteren Teil des Zimmers stand – eine absolute Fehlinvestition, hatte Eschener ihm mit einem Seufzen erklärt. Viel zu teuer und dank seiner überdimensionalen Ausmaße nicht für die einfachen europäischen Erdgräber geeignet.
    Im Gegensatz zu herkömmlichen Särgen war der Deckel dieses Fabrikats nicht lose und musste angeschraubt werden, sondern man konnte ihn wie einen Kofferraum einfach auf- und zuklappen. Genau das tat Morell jetzt. Er öffnete die staubige Totenkiste und schielte in ihr Inneres. Allein bei dem Gedanken, sich da hineinzulegen, standen ihm alle Haare zu Berge, aber was war die Alternative? Von Weber entdeckt zu werden? Die Konsequenzen wollte er sich gar nicht erst ausmalen. Also stieg er hinein und zog den Deckel gerade noch rechtzeitig zu, bevor Frau Summer die Tür aufmachte.
    »Hallo? Herr Reiter? Sind Sie hier?« Die Metallwände des Sarges blockten die Außengeräusche ab, so dass ihre Worte nur äußerst gedämpft und leise zu hören waren.
    Morell spürte, wie eine Woge des Unbehagens durch seinen Körper raste. Hier drinnen war es nicht nur schrecklich eng und beklemmend, sondern auch noch unendlich stickig und dunkel. Kein einziger Lichtpartikel fand seinen Weg in diese modrige Konservenbüchse. Er hatte einmal gehört, dass das Wort Sarg vom griechischen Begriff Sarkophagos stammte, was übersetzt so viel wie ›Fleischfresser‹ hieß. Er lag also eingequetscht in einer fleischfressenden Kiste, während sein jähzorniger Exkollege nur wenige Zentimeter von ihm entfernt nach ihm fahndete. Er schauderte und presste sein Ohr so fest wie möglich an den muffigen Synthetikstoff, mit dem der Innenraum des Sarges ausgekleidet war.
    »Wie lange arbeitet dieser Herr Reiter denn schon für Sie?«
    »Seit zwei Tagen. Er ist noch auf Probe hier.«
    »Ist Herr Reiter zufällig ein Tiroler?«
    »Ich glaube schon – er kommt auf jeden Fall aus dem Westen. Vorarlberg oder Tirol, ich kann die beiden Dialekte nicht wirklich unterscheiden.«
    Morells Herz pochte so laut, dass er befürchtete, es würde ihn verraten. Wie um alles in der Welt war Weber ihm nur auf die Schliche gekommen?
    »Schauen wir doch noch einmal oben nach«, sagte Frau Summer. »Vielleicht war er ja nur kurz auf der Toilette. Ansonsten habe ich seine Telefonnummer – dann können wir ihn anrufen.«
    Die Schritte entfernten

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