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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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als Nächstes unternehmen sollte. Sollte er zu Uhl gehen, obwohl er noch nicht wusste, was die Listen bedeuteten? Oder war es besser, damit zu warten, bis er die Möglichkeit gehabt hatte, mit Lorentz zu reden?
    Seine Überlegungen wurden von Benders Anruf unterbrochen.
    »Hallo, Chef, ich bin es. Gut, dass ich Sie erwische. Ich habe nämlich herausgefunden, wo Gustaf Harr steckt.«
    Morell war mit einem Schlag aufmerksam. »Schieß los!«
    »Sie werden nicht begeistert sein«, fing Bender an und erzählte Morell alles, was er von Nagy erfahren hatte.
    Morell lauschte andächtig den Ausführungen seines Assistenten. »Harr ist damals also einfach nicht mehr zurück nach Wien gereist, und seither weiß niemand, wo er abgeblieben ist?«, fasste er zusammen, als Bender fertig war.
    »Genau.«
    »Das kommt mir ziemlich komisch vor. Hat Nagy gesagt, wie das Dorf hieß, in das Harr gezogen ist?«
    Bender verneinte. »Soll ich ihn noch mal anrufen und fragen? Oder soll ich bei Google Earth nachschauen, wie die Dörfer da in dieser Gegend heißen?«
    »Nein, schon gut. Ich habe eh noch ein Hühnchen mit Uhl zu rupfen. Da kann ich ihn gleich nach Harr und dessen Aufenthaltsort befragen. Gute Arbeit, Robert.«
    »Danke«, sagte Bender stolz.
    »Wie geht es denn Fred und den Pflanzen?«
    »Alles bestens. Servus, Chef.«
    Noch bevor Morell weiter nachfragen konnte, hatte Bender bereits aufgelegt.
    »Komisch«, murmelte Morell und meinte damit sowohl die Geschichte mit Harr als auch das übereilte Abwürgen des Gesprächs durch Bender.
    Der Wiener Wind unternahm einen neuen Versuch, die Kleidung des Landauer Chefinspektors zu durchdringen, was diesem eine geharnischte Schimpftirade entlockte. Er beschloss, jetzt gleich zu Uhl zu gehen, ohne Lorentz’ Meinung über die geheimnisvollen Listen zu kennen. Er wollte nicht mehr länger warten.
     
    Die Sonne war mittlerweile vollständig untergegangen, als Morell in der Blutgasse ankam. Mit entschlossenem Schritt durchquerte er den Durchgang zu dem kleinen Innenhof, blickte nach oben und scannte die Fenster im ersten Stock. Uhls Wohnung befand sich über seinem Geschäft – wenn er also daheim war, dann musste irgendwo Licht brennen.
    Doch sowohl im Laden als auch in der darüberliegenden Wohnung war alles finster. Was sollte er jetzt tun? Einerseits wollte er so schnell wie möglich ein paar Antworten, andererseits hatte er keine Lust, sich hier in dem düsteren, kalten Innenhof die Beine in den Bauch zu stehen und darauf zu warten, dass Uhl irgendwann wiederkam. Er überlegte gerade und vergrub die Hände tief in den Jackentaschen, als sein Blick an einem kleinen Schimmer im Laden hängenblieb. War das eine Reflexion, oder brannte da wirklich irgendwo Licht?
    Morell ging so dicht wie möglich an das Schaufenster heran und spähte durch die Kruzifixe und Rosenkränze in das Innere des Ladens. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Im hinteren Teil des Verkaufsraums war ein gedämpfter Lichtstrahl zu sehen. Er beugte sich so weit nach vorn, dass seine Nase das kalte, leicht feuchte Glas der Auslage berührte. Das musste die Tür sein, hinter der sich Uhls Lager befand. Crazy Willie war also doch nicht ausgeflogen, sondern werkelte in seinem Hinterzimmer herum.
    Da die Ladentür verschlossen war, drückte Morell auf die Klingel, doch es folgte, wie auch vorhin schon bei Meinrad, keine Reaktion.
    »Ich weiß, dass du da bist«, murmelte er, und weil er sich nicht so einfach geschlagen geben wollte, beschloss er, einmal um das Haus herumzugehen – vielleicht gab es ja noch irgendwo ein Fenster, durch das er einen Blick in das Lager werfen konnte.
    Just in dem Moment, als er zurück in die Blutgasse bog, hörte er das Bimmeln von Uhls Ladentür. Er drehte wieder um und lief in den dunklen Durchgang, der den Innenhof mit der Straße verband.
    »Die Luft ist rein«, hörte er Uhl sagen und hielt inne. Crazy Willie war also nicht allein. »Das waren sicher wieder die Nachbarskinder, diese verflixten Blagen. Die finden es lustig, das dumme, alte Klingelstreichspiel zu spielen.«
    Vorsichtig machte Morell einen Schritt zur Seite und presste sich an die Wand. Er wollte sehen, wer Uhls Besucher war, und vielleicht, wenn er Glück hatte, konnte er noch ein paar Gesprächsfetzen belauschen.
    »Dann ist ja alles klar.« Die Stimme kam Morell bekannt vor. Das war doch wohl nicht etwa …? Nein, das konnte nicht sein!
    »Du hast die Liste?«, fragte Uhl.
    »Ja, ich habe alles.« Der zweite Mann

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