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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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wir hier in Wien und dann runter nach Italien gefahren, an der Ostküste entlang …«
    »Erspar dir den Quatsch! Du weißt genau, dass mich das nicht interessiert. Ich will von der einen Nacht hören. Der Nacht, in der ihr euch aufgemacht habt, um Alulims Grab zu öffnen.« Der Mann stand auf, ging zum Esstisch, nahm sich ein Nougatcroissant und das Käsemesser, schob einen Stuhl vor Meinrad und setzte sich hin. Er nahm einen Bissen von dem Croissant, kaute grinsend und zeigte mit dem Messer auf Meinrads rechtes Auge. »Also los«, sagte er. »Und sollte ich dich beim Lügen erwischen, kannst du deinem Auge auf Wiedersehen sagen.«
    Meinrad rang um Fassung. »Novak … kam eines Tages zu mir und behauptete, Alulims Grab gefunden zu haben«, begann er stammelnd. »Er war dabei so überzeugend, dass ich und noch zwei andere ihm glaubten und zusagten, ihm bei der Freilegung zu helfen. Wir warteten bis zum Anbruch der Dunkelheit, damit niemand sonst im Lager etwas von unserer außertourlichen Grabung erfuhr, und machten uns dann auf den Weg zu einem kleinen, bis dahin unerforschten Hügel im Nordwesten des Tells. Novak hatte bereits in den vorherigen Nächten mit den Grabungsarbeiten begonnen und eine riesige Steintafel freigelegt, auf der eine alte Fluchformel geschrieben stand.«
    »Aber ihr habt euch davon nicht abschrecken lassen.« Der Mann lehnte sich zurück.
    Jetzt, wo das Messer sich nicht mehr so nah vor seinem Gesicht befand, entspannte Meinrad sich ein kleines bisschen und fing an zu überlegen. Nachdem er vor ein paar Jahren von einem Schwulenhasser in einer Bar verprügelt worden war, hatte er einen Selbstverteidigungskurs gemacht und wusste daher, wie man einen Gegner außer Gefecht setzen konnte. Er brauchte nur eine Gelegenheit. Novaks Mörder hatte nämlich einen großen Fehler gemacht: Er hatte ihm zwar die Hände gefesselt, aber seine Beine außer Acht gelassen. Wenn er es schaffte aufzuspringen, gelang es ihm vielleicht, sein Gegenüber zu überwältigen und zu fliehen. Die rettende Tür nach draußen war so nah. Alles, was er brauchte, war eine Chance, einen kleinen Moment der Unachtsamkeit …
    »Weiter«, wurde er unsanft aus seinen Überlegungen gerissen.
    »Wo war ich? Ach ja … bei dem Fluch. Nein, wir haben uns nicht davor gefürchtet.« Hätten wir doch nur, fügte er im Geiste hinzu. So viel Kummer und Gram wären uns erspart geblieben. »Wir waren so voller Tatendrang, dass wir sämtliche Bedenken über Bord geworfen und einfach drauflosgearbeitet haben. Wir waren die halbe Nacht zugange, und nach vielen Rückschlägen haben wir es mit vereinten Kräften irgendwann tatsächlich geschafft, den schweren Stein beiseitezuschieben.« Er dachte zurück an jenen triumphalen Moment, an jenen magischen Augenblick, als sie einen Tunnel freigelegt hatten, der seit so vielen Jahrhunderten von keiner Menschenseele mehr betreten worden war. Wie jung sie damals gewesen waren. Jung und naiv. Sie fühlten sich unsterblich und dachten, die Welt gehöre ihnen.
    »Red weiter! Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
    »Wir nahmen unsere Taschenlampen und haben uns darangemacht, den Tunnel zu erkunden. Er war ungefähr einen Meter breit und zwei Meter hoch, führte steil nach unten und endete in einer großen Kammer, vor der sich ein tiefer Graben befand.« Er ruckelte sanft an seinen Fesseln. Sie waren nicht gerade fest gebunden. »Wir haben aus einer Strickleiter und ein paar Ästen einen provisorischen, ziemlich stümperhaften Steg gebastelt und sind darüber in die Kammer gelangt.«
    »Und?«
    Meinrad konnte sich ein trauriges Lächeln nicht verkneifen. »Nichts.«
    » NICHTS ? Was soll das bedeuten?«
    »›Nichts‹ bedeutet, dass sich weder in dem Tunnel noch in der Kammer oder in der Grube irgendetwas befand – keine Keilschriftzeichen, keine Wandbemalung, keine Opfergaben oder sonstigen Artefakte und schon gar kein Sarkophag oder menschliche Überreste. Nichts. Kein Ruhm, kein Reichtum, keine Abenteuer. Wir haben mit unseren Lampen alles genauestens abgeleuchtet, aber da war nichts. Wie es schien, war die ganze Anlage nur eine Attrappe, die dazu diente, vom wahren Aufenthaltsort des toten Königs abzulenken.«
    »Nichts? Gar nichts? Aber …«
    Das Läuten der Türglocke erschreckte beide Männer so sehr, dass sie zusammenzuckten.
    »Wer ist das? Erwartest du jemanden?«
    Meinrad schüttelte den Kopf und zuckte erneut zusammen, als der schrille Klingelton ein zweites Mal den Raum

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