Zu Grabe
die Nerven. »Mir wird das jetzt zu bunt!«, rief er. »Ich hole die Polizei.«
»Schon da.« Morell zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn Uhl, der jetzt ganz blass wurde, unter die Nase.
»Aber … aber … ich dachte, Sie seien Privatdetektiv …«
Morell zuckte mit den Schultern, schaltete das Kellerlicht an und ging die Stiege hinunter. Die Ruhe und Gelassenheit, mit der er bisher agiert hatte, verabschiedeten sich langsam. Jetzt musste er schon wieder mit einem verrückten Kerl, der möglicherweise in einen Mord verwickelt war, in einen Keller gehen. Er griff an das Messer in seiner Hosentasche und betete, dass er nicht gerade dabei war, einen Riesenfehler zu begehen.
Am unteren Ende der Stiege befand sich ein etwa 40 Quadratmeter großer Raum, in dem es ungefähr so aussah, wie Morell es sich vorgestellt hatte: zwei große Werkbänke waren vollbeladen mit Knochen, Schädeln, Scherben und verschiedensten Werkzeugen, die von Zangen bis Pinzetten reichten. In einem großen Regal im hinteren Teil des Raumes standen Glasflaschen in allen Formen und Farben, die irgendwelche Säuren und andere Tinkturen enthielten und einen leicht chemischen Geruch verströmten. Diverse Mikroskope, Lampen, Lexika und verschiedene technische Geräte vervollständigten das Bild. Nach kurzer Suche konnte Morell auch die Plastiktüte entdecken, die Payer gestern aus den Katakomben des Stephansdoms geschmuggelt hatte. Er griff sie sich und zog angeekelt ein paar Rippen und einen Langknochen heraus.
Uhl, der völlig hilflos hinter Morell stand, rang nach Fassung.
»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«, fragte Morell.
Uhl nickte und setzte sich auf einen Stuhl.
»Das ist nicht gut.« Morell griff sich ebenfalls einen Stuhl und setzte sich vor ihn hin. »Wir müssen nämlich dringend miteinander reden.«
Uhl nickte erneut. »Ich hatte früher einen kleinen Antiquitätenhandel«, fing er an. »Aber gegen die großen Auktionshäuser hatte ich keine Chance. Novak hatte zur selben Zeit ein ähnliches Problem: Mit Archäologie war kaum mehr Geld zu verdienen.« Er fuhr sich durch die Haare. »Novak und ich mussten also selber einen Weg finden, um über die Runden zu kommen. Durch Zufall sind wir dann auf die Idee gekommen, in den Reliquienhandel einzusteigen.«
»Und woher nahmen Sie die ganzen Knochen? Die können ja nicht alle aus dem Stephansdom stammen. Vor allem, wenn es um Reliquien aus früheren Epochen geht.«
»Viele Knochen hat Novak aus dem Tiefspeicher des Naturhistorischen Museums geholt. Dort drinnen liegen mehr als 20 Millionen Objekte – da fallen ein paar Knochen mehr oder weniger nicht auf. Manchmal, wenn es gerade passte, hat er auch Sachen direkt von seinen Ausgrabungen mitgenommen.«
»Und irgendwann sind Sie beide sich in die Haare geraten, und Sie haben Ihren Partner getötet.«
Uhl sprang auf. » NEIN ! Um Gottes willen. Novak und ich haben über viele Jahre gut zusammengearbeitet. Natürlich gab es hie und da mal Ärger, zum Beispiel weil er viel zu protzig gelebt hat. Ich für meinen Teil verhalte mich lieber unauffällig und lege das Geld auf die hohe Kante. Aber wie schon gesagt, das waren kleine Streitereien – nichts, das Grund genug gewesen wäre, Novak zu töten. Außerdem wäre ich schön blöd gewesen, ihn umzubringen – ich habe ja keinen Zugang zu irgendwelchen Originalmaterialien.«
»Aber Sie hatten ja immer noch Payer.«
Uhl fing an zu lachen. »Nein. Ich habe all die Jahre ausschließlich mit Novak gearbeitet. Als er getötet wurde, war ich völlig aufgeschmissen. Ich hatte einige Aufträge, die ich aber nicht bedienen konnte, da mir das Material fehlte. Und dann kamen Sie.«
»Ich?«
»Ja. Als Sie kamen, um mich wegen der Ausgrabung in Syrien zu befragen, haben Sie mir Grüße von Payer ausgerichtet und nebenher bemerkt, dass er über mangelnde Forschungsgelder jammert. Das war ein Wink des Schicksals. Ich habe Payer noch am selben Tag angerufen, eine Flasche Schnaps mit ihm gekippt und ihn in meine Geschäftsidee eingeweiht. Der verrückte Kerl war sofort Feuer und Flamme und versorgt mich seither mit Knochen und anderen Materialien. Ich gebe zu, dass das alles nicht unbedingt sehr legal ist, aber wir sind keine Mörder.« Er senkte den Blick und starrte auf seine Schuhe.
»Wie viele Ihrer Kunden haben neben Pfarrer Stimpfl noch entdeckt, dass es sich bei Ihren Reliquien um Fälschungen handelt?«
»Keiner!« Uhl schüttelte energisch den Kopf. »Meine Stücke sind so
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