Zu Hause in Almanya
Deutschland für sie nicht vielleicht bald zu Ende war? Fast war es so, wie in der Zeit, als sie ihre Eltern verlassen hatten und nach Deutschland gekommen waren. Jetzt verließen sie ihre Kinder und waren wieder von denen getrennt, die sie liebten.
»Endlich Ruhe, endlich keine meckernde Mutter mehr im Nacken«, dachte sich aber der Jüngste, als er ihr nachwinkte. Verständnislos sah er seine Schwester an, der die Tränen die Wangen hinunterliefen. Es dauerte viele Monate, bis er verstand, was wirklich geschehen war, bis er die leere, stille Wohnung und die verstaubten Bilderrahmen leid geworden war. Monate, in denen er kein einziges Wort Türkisch gesprochen und seine Schwester und seinen Bruder ständig abgewimmelt hatte, wenn sie versucht hatten, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Monate, in denen er genug Zeit gehabt hatte, um zu verstehen, dass das Leben alleine doch gar keinen Spaß machte, wenn – ja, wenn man es doch viel besser mit den besten Geschwistern der Welt genießen konnte.
So griff er eines Tages schließlich zum Hörer, rief seine Abla und seinen Abi an und fragte, wie es ihnen ging. Dann rief er auch die Eltern in der Türkei an und sagte: »Mama, mach dir keine Sorgen, wir halten zusammen.«
Seitdem reden die Leute im Viertel stets von »Zelihas Kindern«, die zwar alle verschieden waren, aber so zueinanderstanden, wie es die Mutter immer gewollt hatte. Und ihre Geschichte ist noch längst nicht zu Ende, denn das Leben hat noch viele, viele Überraschungen.
Die Königin der Flimmerkiste
Es ist schon beinahe ein Ritual. Der Freitagabend gehört ihr, und danach haben sich alle zu richten. Dann räkelt sie sich wie eine Monarchin auf dem Sofa neben ihren Eltern, legt die Beine hoch und dirigiert mit der Fernbedienung den Abend, denn der gehört ihr.
Sie hat ihn gut vorbereitet. Zuerst Tee gekocht für sich, Mama, Papa und die Geschwister, dann den Tisch mit Knabbereien und Schokolade bestückt, während die anderen für Obst und Kuchen sorgten. Dann endlich kommt der Zeitpunkt des Genusses. Der Ton wird lauter gestellt, die Farbeinstellung optimiert und schon kann es losgehen. Der Mann mit dem umwerfenden Charme ist da – Hoşgeldiniz! Herzlich willkommen in Istanbul.
Egal, ob Gäste da sind oder ob auf einem anderen Kanal ein Hollywoodknüller läuft – an diesem Abend gehört der Fernseher ihr, und die ganze Familie schaut mit, denn der bestaussehende Mann der Türkei, Beyaz, der »sexiest Turkish man alive«, der Mann mit dem unschlagbaren Lachen, der Mann, dem die türkischen Fernsehzuschauerinnen zu Füßen liegen, hat heute Abend seine Show. Serap, die bald Abitur macht, würde ihn um nichts auf der Welt verpassen. Wenn Beyaz kommt, dann wird ihr Abend gemütlich. Er ist ein echter Gentleman, der Traum türkischer Schwiegermütter und der Traum junger Mädchen wie sie.
Beyaz ist bei den Türken in der Türkei genauso beliebt wie bei denen in London, Paris oder Berlin. Sein Programm ist proppenvoll und zuckersüß. Popstars, die gerade eine neue CD herausgebracht haben, Models, die für einen neuen Designer laufen, Schauspieler, deren neuester Film im Kino anläuft, Fußballer, die Supertore schießen, oder ganz normale Menschen, die im Internet oder irgendwo im Lande mit witzigen Dingen von sich reden machen. Oder auch Türken aus Deutschland. Der Regisseur Fatih Akin saß schon bei ihm auf der Couch, und Kaya Yanar, der in der Sendung als Türke angekündigt wurde, outete sich damit, dass er kein Wort Türkisch sprach und sogar eine Dolmetscherin mitbrachte. Auch in solchen Situationen bleibt Beyaz immer höflich und überspielt peinliche Momente mit ein paar Witzen, die nie auf Kosten seiner Gäste gehen.
Und wenn auch das nicht mehr hilft, dann spielt seine Liveband ein nettes Stück, und das Publikum, das fast nur aus Schülern und Studenten besteht, die alle auf dem Boden sitzen, amüsiert sich und jubelt. Beyaz, der eigentlich am Tisch sitzen und die Gäste ausfragen sollte, hat seinen eigenen Kopf. Meist läuft er auf der Bühne herum, setzt sich zu den Gästen aufs Sofa, tanzt oder singt und macht Spontanaktionen mit dem Publikum, mit seinem Orchester oder mit seinen Gästen. Ältere Gäste empfängt er gerne respektvoll mit Handkuss, und das Publikum dankt es ihm mit viel Applaus und Jubel.
Beyaz flirtet aber auch mit den Mädels auf der Couch, die meist bittersüß aufgestylt sind und nicht selten im Minirock oder mit offenherzigem Dekolleté auftauchen. Er scherzt mit den
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