Zu Hause in Almanya
Männern und albert herum, manchmal greift er auch selbst zum Mikrofon und singt, obwohl er einen leichten Sprachfehler hat. Er kann das R nicht rollen, wie er es tun sollte, aber diesen kleinen Fehler würde ihm niemand übel nehmen, denn das, was Beyaz ausmacht, sind seine Gutherzigkeit und seine Höflichkeit. Er würde niemals etwas Boshaftes sagen, und wenn, dann würde er vor Scham erröten und sich sofort entschuldigen. Beyaz will ausgelassen sein und Spaß haben und seine Zuschauer wollen das auch. Das ist der Grund, warum seine Show eine der beliebtesten im türkischen Fernsehen ist und warum man sie in dieser Form nirgendwo sonst zu sehen bekommt, vor allem nicht auf einem deutschen Kanal, obwohl er selbst schon bei mehreren deutschen Sendern zu Gast war. Türkische Menschen sind, wie wahrscheinlich viele Südländer, emotional und sentimental, und sie zeigen das gerne und ohne Umschweife, direkt und ungeniert, wie eben auch Beyaz. Er weint, wenn eine Oma in die Sendung kommt und ihren Enkel sucht oder ein alter Kriegsveteran in der Show ein Lied singt, und das halbe Publikum weint mit. Aber genauso jubelt und tobt der ganze Saal mit Beyaz, wenn er drei Minuten später beim Auftritt einer Sängerin feurig zu tanzen beginnt. Gefühle sind schließlich da, um ausgelebt zu werden, zumindest im türkischen Fernsehen. Einen kleinen Geschmack davon bekamen auch die deutschen Zuschauer, als die Türkei 2004 Gastgeber des Eurovision Song Contest war. Während Max Mutzke für Deutschland auftrat, planten Beyaz und Stefan Raab eine gemeinsame Sendung. Nichts hätte die Unterschiede der beiden Moderatorenstars deutlicher machen können. Beyaz überragte Stefan haushoch mit seiner Liebenswürdigkeit, und der wiederum übertraf ihn mit seinem schelmischen Humor. Es ist schön, wenn man vergleichen kann, und es ist schön, wenn man Dinge sehen und verstehen kann, die es im deutschen Fernsehen nicht gibt. So geht es Serap, wenn sie die Fernbedienung in der Hand hat.
Ihr Lieblingsshowmaster Beyaz ist zwar eine Koryphäe auf seinem Gebiet, aber er ist längst nicht der Einzige, der türkischsprachige Zuschauer in seinen Bann zieht. Vor allem die Frauen werden mit einer türkischen Spezialität zum Fernsehen verführt, die es so weder im deutschen Fernsehen gibt noch wahrscheinlich in einem anderen. »Frauenprogramme« heißt das Mattscheibenzauberwort, ein Format, das die türkischen Fernsehmacher erfunden haben, um sich damit eine goldene Nase zu verdienen.
Schon am frühen Morgen beginnen diese Programme, die von berühmten Sängerinnen oder Fotomodels moderiert werden. »Die Sultanin des Morgens« oder »Morgenbonbons« heißen nur zwei von ihnen, in denen die Studiogäste überwiegend, aber nicht ausschließlich Frauen sind. Auch Männer, die ihre Liebste nach einer Trennung zurückgewinnen wollen, die von ihrer Frau schlecht behandelt wurden und jetzt Rat suchen oder die irgendein Beziehungsproblem lösen wollen, können das vor einem Millionenpublikum tun. Meistens sitzen in der Runde auch Expertinnen und Experten, die den Betroffenen helfen sollen.
»Mein Mann betrügt mich, was soll ich tun?«, »Wer ist mein richtiger Vater?«, »Meine Mutter will nicht, dass ich heirate!«,
»Wie kann ich meine Brust vergrößern lassen?«, »Mein Mann hat mich geschlagen, was kann ich tun?«, »Warum kommt mein Sohn nicht nach Hause?« und so weiter und so fort. Unzählige Leiden und Wehwehchen werden diskutiert oder besser gesagt: bequatscht, denn es kommt nicht selten vor, dass alle durcheinanderreden und die Moderatorin plötzlich aufsteht und zu singen beginnt oder jemand eine Tanzeinlage bringt und alle mitklatschen, obwohl kurz zuvor noch das ganze Studio über irgendwas geweint hat. Herz und Schmerz und Trallala, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber die Sendungen sind wichtig, weil sie die Frauen unterhalten und informieren. Männer schauen sie nicht selten an, um die Welt der Frauen zu verstehen – und schütteln nicht selten den Kopf über soviel sentimentales Temperament – auch in Deutschland. Im türkischen Fernsehen können die Zuschauerinnen und Zuschauer, egal von wo sie einschalten, hemmungslos sie selbst sein und ihre althergebrachten oder kulturellen oder wie auch immer aussehenden Eigenarten gespiegelt bekommen, ohne sich dafür belächeln lassen oder rechtfertigen zu müssen. Und das alles noch in einer so bildreichen Sprache wie der türkischen, die ihnen ans Herz gewachsen ist. Das kann wohl keine
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