Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Peregrine River. Es steht auf dem Gelände einer alten Fabrikruine unweit der Kreuzung, wo Percy Marshall haust. Dem Hotel gehört sogar das Grundstück, auf dem Percy wohnt, und das Haus, in dem er wohnt. Es gab einen Plan, das Haus abzureißen, aber es stellte sich heraus, dass die Hotelgäste, da sie nicht viel zu tun haben, gerne die Straße hinunterspazieren und Fotos machen von diesem verfallenden Haus mit der alten Egge und dem umgekippten Leiterwagen daneben, der kaputten Pumpe und mit Percy, wenn er sich fotografieren lässt. Manche Gäste fertigen Zeichnungen an. Sie kommen von so weit her wie Ottawa und Montreal und bilden sich zweifellos ein, sie seien hier in der hintersten Provinz.
Die Leute aus der Gegend gehen ins Hotel, um sich etwas Besonderes zum Mittag- oder Abendessen zu gönnen. Lea war mal da, mit dem Zahnarzt und seiner Frau und der Hygienikerin und ihrem Mann. Roy mochte nicht mitkommen. Er sagte, er habe keine Lust, Gerichte zu essen, die einen Batzen Geld kosteten, auch wenn jemand anders dafür bezahle. Aber er ist sich nicht ganz sicher, was er eigentlich gegen das Hotel hat. Er hat im Prinzip nichts dagegen, dass Leute Geld ausgeben in der Hoffnung, sich dafür gut zu amüsieren, oder dass andere Geld an Leuten verdienen, die es ausgeben wollen. Es ist wahr, die Antiquitäten im Hotel sind nicht von ihm, sondern von anderen Handwerkern – nicht mal hier aus der Gegend – restauriert und neu bezogen worden, aber wenn er gebeten worden wäre, das zu übernehmen, hätte er es wahrscheinlich abgelehnt, mit den Worten, er habe schon mehr als genug Arbeit. Als Lea ihn fragte, was er denn an dem Hotel auszusetzen habe, fiel ihm als Einziges ein, dass Diane, die sich dort als Kellnerin beworben hatte, abgelehnt worden war, mit der Begründung, sie sei übergewichtig.
»War sie auch«, sagte Lea. »Ist sie noch. Das sagt sie selbst.«
Was stimmte. Aber für Roy sind diese Leute immer noch Snobs. Raffgierige Snobs. Sie errichten neue Gebäude im Stil alter Waren- und Opernhäuser, nur um etwas herzumachen. Sie verbrennen Holz, nur um etwas herzumachen. Einen Klafter pro Tag. Und jetzt soll ein Bulldozer das Waldstück planieren, als sei es ein Maisfeld. Das ist genauso ein rücksichtsloses Vorgehen, wie man es erwarten konnte, ein Raubzug der Art, mit der man rechnen musste.
Er erzählt Lea die Geschichte, die er gehört hat. Er erzählt ihr immer noch etwas, aus alter Gewohnheit, auch wenn er sich inzwischen so weit mit ihrer mangelnden Anteilnahme abgefunden hat, dass er kaum noch wahrnimmt, ob er eine Antwort erhält oder nicht. Diesmal wiederholt sie, was er selbst gesagt hat.
»Macht doch nichts. Du hast ja ohnehin genug zu tun.«
Eigentlich hatte er nichts anderes erwartet, ob sie nun gesund war oder nicht. Sie verstand einfach nicht, worum es ihm ging. Aber ist das nicht, was Ehefrauen – und Ehemänner wahrscheinlich genauso – in ungefähr fünfzig Prozent aller Fälle tun?
Am nächsten Morgen arbeitet er eine Weile an einem Tisch mit herunterklappbaren Seitenteilen. Er hat vor, den ganzen Tag im Schuppen zu bleiben und ein paar überfällige Aufträge zu erledigen. Gegen Mittag hört er Dianes lauten Auspuff und schaut aus dem Fenster. Sie kommt bestimmt, um Lea zur Fußreflexzonenmassage zu bringen – sie meint, es tut Lea gut, und Lea hat nichts dagegen.
Aber sie geht auf den Schuppen zu, nicht aufs Haus.
»Tach«, sagt sie.
»Tach.«
»Viel zu tun?«
»Wie immer«, sagt Roy. »Willst du einen Job?«
Das ist ihr Begrüßungsritual.
»Hab schon einen. Hör mal, ich bin hergekommen, weil ich dich um einen Gefallen bitten möchte. Ich möchte mir nämlich deinen Lieferwagen ausborgen. Morgen, um Tiger zum Tierarzt zu bringen. Ich werde im Auto nicht mit ihm fertig. Er ist inzwischen zu groß dafür. Ich frage dich äußerst ungern.«
Roy sagt, sie soll sich deswegen keine Sorgen machen.
Tiger zum Tierarzt, denkt er, das wird teuer.
»Du wirst den Lieferwagen nicht brauchen?«, fragt sie. »Ich meine, du kannst das Auto nehmen?«
Er hat natürlich vorgehabt, morgen in den Wald zu fahren, vorausgesetzt, er schafft bis dahin seine Aufträge. Aber unter diesen Umständen, beschließt er jetzt, muss er noch heute Nachmittag hinaus.
»Ich tanke ihn auch für dich voll«, sagt Diane.
Also muss er auch noch daran denken, ihn selbst aufzutanken, damit sie es nicht tut. Er will gerade sagen: »Weißt du, ich will da hinaus, weil mir etwas zu Ohren gekommen ist,
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