Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
eingewilligt hatte, mit dem Jungen von der chemischen Reinigung auszugehen, der mindestens zehn Jahre zu jung für sie war. Und der sie dann versetzte.
Jetzt geht sie über den Rasen mit einem Schal über dem Arm für die alte Mrs Fowler, die Mutter von Doris, der zweiten Ehefrau und spät erblühten Lesbe. Mrs Fowler darf nicht in der Sonne sitzen, aber im Schatten fröstelt sie. Und in der anderen Hand hält sie ein Glas mit frisch bereiteter Limonade für Mrs Gowan, die diensthabende Betreuerin von Sally. Mrs Gowan fand die Kinderbowle zu süß. Sie erlaubt Sally nicht, etwas zu trinken – sie könnte es sich über ihr hübsches Kleid gießen oder es in einem Anfall von Verspieltheit jemandem ins Gesicht schütten. Sally scheint der Entzug nichts auszumachen.
Auf dem Weg über den Rasen kommt Joyce an einer Gruppe junger Leute vorbei, die im Kreis sitzen. Tommy, sein neuer Freund, andere Freunde, die sie schon oft im Haus gesehen hat, und noch andere, die sie noch nie gesehen zu haben meint.
Sie hört Tommy sagen: »Nein, ich bin nicht Isadora Duncan.«
Alle lachen.
Ihr wird klar, dass sie offenbar dieses schwierige und versnobte Spiel spielen, das vor Jahren beliebt war. Wie hieß es noch gleich? Sie glaubt, der Name fing mit einem B an. Sie hätte gedacht, junge Leute seien heutzutage zu antielitär für solch einen Zeitvertreib.
Buxtehude. Sie hat es laut ausgesprochen.
»Ihr spielt Buxtehude.«
»Das B stimmt schon mal«, sagt Tommy und lacht, damit die anderen auch lachen können.
»Seht ihr«, sagt er. »Meine Belle-mère ist gar nicht so blöd. Aber sie ist Musikerin. War Buxtehude nicht ein Musiker?«
»Buxtehude ist fünfzig Meilen weit gelaufen, um Bach Orgel spielen zu hören«, sagt Joyce ein wenig verstimmt. »Ja. Er war Musiker.«
Tommy sagt: »Heißer Typ.«
Ein Mädchen in dem Kreis steht auf, und Tommy ruft ihr etwas zu.
»Christie. He, Christie. Spielst du nicht mehr mit?«
»Bin gleich zurück. Ich verdrück mich nur mal ins Gebüsch mit meiner scheußlichen Zigarette.«
Das Mädchen trägt ein kurzes, gerüschtes schwarzes Kleid, das an Reizwäsche oder ein Nachthemd erinnert, und ein strenges, aber tief ausgeschnittenes schwarzes Jäckchen. Dünne helle Haare, ausdrucksloses, blasses Gesicht, unsichtbare Augenbrauen. Joyce hat sofort eine Abneigung gegen sie gefasst. Gehört zu den Mädchen, denkt sie, deren Lebenszweck es ist, anderen Unbehagen einzuflößen. Mitgezottelt – Joyce denkt, sie muss mitgezottelt sein – auf eine Party in einem Haus von Leuten, die sie nicht kennt, aber meint, verachten zu dürfen. Wegen ihrer angenehmen (oberflächlichen?) Umgangsformen und ihrer großbürgerlichen Gastfreundschaft. (Benutzt man noch das Wort »großbürgerlich«?)
Nicht, als ob ein Gast nicht überall rauchen könnte, wo er will. Nirgendwo stehen diese albernen kleinen Schilder, nicht mal im Haus. Joyce spürt, wie viel von ihrer Fröhlichkeit sie verlässt.
»Tommy«, sagt sie abrupt. »Tommy, würde es dir etwas ausmachen, diesen Schal Oma Fowler zu bringen? Ihr ist nämlich kalt. Und die Limonade ist für Mrs Gowan. Du weißt schon. Die Person bei deiner Mutter.«
Es kann nicht schaden, ihn an bestimmte Beziehungen und Verantwortlichkeiten zu erinnern.
Tommy ist rasch und anmutig auf den Beinen.
»Botticelli«, sagt er und nimmt ihr den Schal und das Glas ab.
»Tut mir leid. Ich wollte euch nicht das Spiel verderben.«
»Wir können es sowieso nicht«, sagt ein Junge, den sie kennt. Justin. »Wir sind nicht so schlau wie ihr früher.«
»Früher ist das richtige Wort«, sagt Joyce. Und weiß einen Augenblick lang nicht, was sie nun tun oder wohin sie gehen soll.
Sie waschen in der Küche das Geschirr ab. Joyce und Tommy und der neue Freund Jay. Die Party ist vorbei. Die Gäste haben sich mit Umarmungen, Küssen und herzlichen Zurufen verabschiedet, manche haben Platten mit Essen davongetragen, für das Joyce im Kühlschrank keinen Platz hat. Sie wirft welke Salate und Sahnetorten und gefüllte Eier weg. Von den gefüllten Eiern wurden ohnehin nur wenige gegessen. Altmodisch. Zu viel Cholesterin.
»Zu schade, sie haben viel Arbeit gemacht. Erinnerten die Leute wahrscheinlich an Kirchenbasare«, sagt Joyce, als sie einen Tellervoll in den Müll kippt.
»Meine Oma hat sie immer gemacht«, sagt Jay. Dies sind die ersten Worte, die er an Joyce gerichtet hat, und sie sieht Tommys dankbaren Gesichtsausdruck. Sie empfindet auch Dankbarkeit, obwohl sie in die
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