Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
einem der echten Enkelsöhne um einen Platz auf der Schaukel geprügelt hat.
Tommy hat zum ersten Mal seinen Lover namens Jay mitgebracht, der noch kein Wort gesagt hat. Tommy hat Joyce erklärt, dass Jay Familien nicht gewohnt ist.
»Er hat mein Mitgefühl«, sagt Joyce. »Es hat tatsächlich eine Zeit gegeben, da war ich es auch nicht.« Sie lacht dabei – wie sie auch nahezu ununterbrochen lacht, während sie den Status der engeren und entfernteren Mitglieder der – wie Matt dazu sagt – Sippe erklärt. Sie selbst hat keine Kinder, aber einen Ex-Ehemann, Jon, der weiter oben an der Küste in einem Industriestädtchen wohnt, das gerade schwere Zeiten durchmacht. Sie hat ihn zu der Party eingeladen, aber er konnte nicht kommen. Das Enkelkind seiner dritten Frau wird an diesem Tag getauft. Natürlich hat Joyce auch seine Frau eingeladen – sie heißt Charlene und hat einen Back-Shop. Sie hat dieses nette Briefchen wegen der Taufe geschrieben, woraufhin Joyce zu Matt sagte, sie könne nicht glauben, dass Jon jetzt fromm geworden sei.
»Ich wünschte, die beiden hätten kommen können«, sagt sie, während sie all das einem Nachbarn erklärt. (Nachbarn sind auch eingeladen worden, damit es keinen Ärger wegen des Lärms gibt.) »Dann hätte ich mein Teil zu den Komplikationen beitragen können. Es gab auch mal eine zweite Ehefrau, aber ich habe keine Ahnung, was aus der geworden ist, und ich glaube, er weiß es auch nicht.«
Es gibt viel zu essen, teils von Matt und Joyce zubereitet, teils von den Gästen mitgebracht, und viel zu trinken, Wein und Kinderbowle und richtige Bowle, die Matt für diesen Anlass zusammengebraut hat – um der alten Zeiten willen, sagt er, als man noch richtig zu trinken wusste. Er sagt, am liebsten hätte er sie in einem ausgewaschenen Mülleimer zubereitet, so wie damals, aber heutzutage seien alle zu heikel, um so etwas zu trinken. Die meisten der jüngeren Generation meiden die Bowle ohnehin.
Das Grundstück ist weitläufig. Es gibt Krocket, falls jemand spielen möchte, und die umkämpfte Schaukel aus Matts eigener Kindheit, die er aus der Garage geholt hat. Die meisten der Kinder kennen nur Spielplatzschaukeln und Plastikklettergerüste hinter dem Haus. Matt ist bestimmt einer der letzten in Vancouver, der noch eine Schaukel aus der Kindheit besitzt und der noch in dem Haus lebt, in dem er aufgewachsen ist, einem Haus in der Windsor Road am Hang vom Grouse Mountain, dort, wo früher der Waldrand war. Inzwischen klettern die Häuser immer höher hinauf, die meisten davon halbe Schlösser mit festen Garagen. Demnächst muss dieser Kasten weg, sagt Matt. Die Steuern sind ruinös. Er muss weg, und zwei Scheußlichkeiten werden ihn ersetzen.
Joyce kann sich nicht vorstellen, dass ihr Leben mit Matt irgendwo anders stattfindet. Hier ist immer so viel los. Leute kommen und gehen und lassen Dinge zurück und holen sie später wieder ab (darunter auch Kinder). Matts Streichquartett im Arbeitszimmer an Sonntagnachmittagen, das Unitariertreffen im Wohnzimmer an Sonntagabenden, die Planung grüner Parteistrategie in der Küche. Der Dramenlesezirkel, der im vorderen Teil des Hauses Gefühlsausbrüche mimt, während hinten in der Küche jemand ein Drama aus dem wahren Leben in allen Einzelheiten ausbreitet (die Anwesenheit der Hausherrin ist eigentlich an beiden Orten erforderlich). Matt und ein Kollege von der Fakultät, die im Arbeitszimmer hinter verschlossenen Türen ihre Strategie festklopfen.
Sie erwähnt oft, dass sie mit Matt selten allein ist, eigentlich nur im Bett.
»Und da liest er dann was Wichtiges.«
Während sie etwas Unwichtiges liest.
Wenn schon. Er verbreitet um sich ungeheuer viel Geselligkeit und Lebenslust, die sie vielleicht braucht. Sogar am College – wo er es mit Studenten höherer Semester, Mitarbeitern, möglichen Feinden und ständigen Nörglern zu tun hat – scheint er sich in einem kaum beherrschbaren Wirbelsturm zu bewegen. All das fand sie früher kraftspendend. Und würde es wahrscheinlich immer noch so finden, wenn sie Zeit hätte, es von außen zu betrachten. Von außen betrachtet würde sie sich wahrscheinlich beneiden. Viele mögen sie beneiden oder zumindest bewundern – sie passt doch so gut zu ihm mit ihren vielen Freundinnen und Pflichten und Aktivitäten und natürlich auch ihrer eigenen Karriere. Wenn man sie jetzt sieht, würde man nie auf den Gedanken kommen, dass sie, als sie neu in Vancouver war, vor lauter Einsamkeit
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