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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nicht genug Pflanzenbewuchs, um etwas wie ein Polster auf dem Geröll zu bilden, das sehr weit unten zu liegen schien. Der Weg wand sich hindurch, führte über harte Erde oder nicht ganz ebene Felsplatten.
    »Uuii«, schallte es von den Jungen herüber, Kent und Peter, neun und sechs Jahre alt, die vorausrannten.
    »Kein Herumflitzen hier drin«, rief Alex. »Keine blöde Angeberei, habt ihr gehört? Habt ihr verstanden? Antwortet mir.«
    Sie riefen ja, und er ging weiter, mit dem Picknickkorb und offenbar in dem Glauben, dass keine weitere väterliche Ermahnung notwendig sei. Sally stolperte schneller voran, als ihr leichtfiel, mit der Windeltasche und mit Savanna, dem Baby. Sie konnte ihre Schritte nicht verlangsamen, bevor nicht ihre Söhne in Sicht kamen. Endlich sah sie, wie die beiden dahintrabten, in die schwarzen Kammern hinunterspähten und immer noch übertriebene, aber leise Schreckenslaute ausstießen. Sally weinte fast vor Erschöpfung und Besorgnis und dem vertrauten Gefühl langsam aufsteigender Wut.
    Die Aussicht erschien erst, nachdem sie auf diesen Torf- und Felswegen eine Strecke zurückgelegt hatten, die ihr wie eine halbe Meile vorkam, aber wahrscheinlich nur eine viertel Meile lang war. Dann wurde es heller, ein Stückchen Himmel tauchte auf, und ihr Mann weit vor ihr blieb stehen. Er rief etwas, das von Ankunft und Schauspiel kündete, und die Jungen johlten vor echtem Staunen. Als Sally aus dem Wald heraustrat, standen sie aufgereiht auf einer Felsnase über den Baumwipfeln – über mehreren Schichten von Baumwipfeln, wie sich herausstellte –, während tief drunten die sommerlichen Felder grün und gelb schimmerten.
    Sobald Savanna auf ihrer Decke lag, fing sie an zu schreien.
    »Hat Hunger«, sagte Sally.
    Alex sagte: »Ich dachte, sie hat im Auto ihr Mittagessen bekommen.«
    »Schon. Aber sie hat eben wieder Hunger.«
    Sie nahm Savanna auf einen Arm und öffnete mit der freien Hand den Picknickkorb. So hatte Alex das natürlich nicht geplant. Aber er seufzte nur gutgelaunt, holte die Sektgläser aus seinen Taschen, wickelte sie aus und legte sie auf einen Flecken Gras.
    »Gluck-gluck, ich hab auch Durst«, sagte Kent, und Peter ahmte ihn sofort nach.
    »Gluck-gluck, ich auch, gluck-gluck.«
    »Sei still«, sagte Alex.
    Kent sagte: »Sei still, Peter.«
    Alex fragte Sally: »Was hast du denn für sie zu trinken mitgebracht?«
    »Limo in dem blauen Behälter. Und die Plastikbecher sind in einer Serviette darunter.«
    Natürlich war Alex überzeugt, dass Kent mit diesem Quatsch nicht angefangen hatte, weil er wirklich Durst hatte, sondern weil ihn der Anblick von Sallys Brüsten erregte. Alex fand, es war höchste Zeit, Savanna an die Flasche zu gewöhnen – sie war bald sechs Monate alt. Und er fand, Sally ging mit der ganzen Prozedur zu salopp um, lief manchmal in der Küche herum und machte etwas mit einer Hand, während der Säugling nuckelte. Wobei Kent zu linsen versuchte und Peter von Mamis Milchbeuteln quakte. Was er von Kent hatte, behauptete Alex. Kent war ein Spanner und ein Unruhestifter, und er hatte eine schmutzige Phantasie.
    »Aber ich muss das doch alles machen«, sagte Sally.
    »Stillen musst du nicht unbedingt. Du kannst sie morgen auf die Flasche umstellen.«
    »Das tu ich auch bald. Nicht gleich morgen, aber bald.«
    Aber was war? Sie sorgte immer noch dafür, dass Savanna und die Milchbeutel das Picknick beherrschten.
    Die Limo wird eingegossen, dann der Champagner. Sally und Alex stoßen an, wobei Savanna im Weg ist. Sally trinkt ihren Schluck und wünscht sich, sie dürfte mehr trinken. Sie lächelt Alex an, um ihm diesen Wunsch mitzuteilen und vielleicht auch den Wunsch, mit ihm allein zu sein. Er trinkt seinen Champagner und, als hätten ihr Schluck und ihr Lächeln ihn besänftigt, macht sich ans Picknick. Sie gibt ihm Anweisungen, auf welchen Sandwiches der Senf ist, den er mag, und auf welchen der, den sie und Peter mögen, und welche für Kent sind, der überhaupt keinen Senf mag.
    Währenddessen gelingt es Kent, sich hinter sie zu schleichen und ihren Champagner auszutrinken. Peter muss ihn dabei beobachtet haben, aber aus irgendeinem Grund verpetzt er ihn nicht. Sally entdeckt etwas später, was passiert ist, und Alex erfährt es nie, weil er bald vergisst, dass noch etwas in ihrem Glas war, und es zusammen mit seinem eigenen säuberlich wegpackt, während er den Jungen etwas über Dolomit erzählt. Sie hören vermutlich zu, während sie die Sandwiches

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