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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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kochte Kaffee. »Schau mal«, sagte sie und zeigte auf den offenen Küchenschrank. »Schau, wie er sich eingerichtet hat. Becher hier. Tassen und Untertassen da. Jede Tasse hat ihren eigenen Haken. Ist das nicht ordentlich? Und das ganze Haus ist so. Ich liebe es.«
    »Durch dich haben wir uns kennengelernt«, wiederholte sie. »Wenn wir ein Kind bekommen und es ein Mädchen ist, geben wir ihr vielleicht deinen Namen.«
    Meine Hände umfassten den Becher, in meinen Fingern pochte es immer noch. Usambaraveilchen standen auf dem Fensterbrett über der Spüle. Die Ordnung seiner Mutter in den Küchenschränken, die Zimmerpflanzen seiner Mutter. Der große Farn stand wahrscheinlich immer noch vor dem Wohnzimmerfenster, und auf den Sesseln lagen wohl noch die Schondeckchen. Was sie in Bezug auf sich und Ernie gesagt hatte, kam mir schamlos und – besonders, wenn ich mir Ernie dabei vorstellte – reichlich widerwärtig vor.
    »Ihr wollt heiraten?«
    »Möglich.«
    »Du hast gesagt, wenn du ein Kind bekommst.«
    »Man weiß ja nie, vielleicht haben wir schon vor der Heirat damit angefangen«, sagte Nina und senkte schelmisch den Kopf.
    »Mit Ernie?«, fragte ich. »Mit
Ernie

    »Warum denn nicht? Ernie ist nett«, sagte sie. »Und außerdem nenne ich ihn Ernest.« Sie zog den Bademantel um sich zu.
    »Was ist mit Mr Purvis?«
    »Was soll mit ihm sein?«
    »Na, wenn sich schon was tut, kann es nicht von ihm sein?«
    Alles an Nina veränderte sich. Ihr Gesicht wurde niederträchtig.
»Der«,
sagte sie voller Verachtung. »Was willst du über den noch reden? Der hat’s doch nie gebracht.«
    »Ach, nein?«, sagte ich und wollte sie nach Gemma fragen, aber sie unterbrach mich.
    »Wozu willst du über die Vergangenheit reden? Mach mich nicht krank. Das ist alles aus und vorbei. Für Ernie und mich ist das unwichtig. Wir sind jetzt zusammen. Wir lieben uns.«
    Sich lieben. Mit Ernie. Jetzt Ernest.
    »Ja«, sagte ich.
    »Tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe. Hab ich geschrien? Tut mir leid. Du bist unsere Freundin, und du hast mir meine Sachen gebracht, das rechne ich dir hoch an. Du bist Ernests Kusine und gehörst zu unserer Familie.«
    Sie huschte hinter mich, ihre Finger fuhren in meine Achselhöhlen, und sie kitzelte mich, anfangs sanft, dann heftig, und sagte: »Nicht wahr, nicht wahr?«
    Ich versuchte, mich zu befreien, aber ich schaffte es nicht. Ich bekam schmerzhafte Lachanfälle, wand mich, schrie und flehte sie an, aufzuhören. Was sie erst tat, als sie mich völlig hilflos gemacht hatte und wir beide außer Atem waren.
    »Du bist der kitzligste Mensch, den ich kenne.«
     
    Ich musste lange auf den Bus warten und trat von einem Bein aufs andere. Als ich im College ankam, hatte ich nicht nur meinen ersten, sondern auch meinen zweiten Kurs versäumt und kam zu spät zur Arbeit in der Mensa. Ich zog in der Besenkammer meine grüne Baumwolluniform an und verstaute meine buschigen schwarzen Haare (die schlimmsten Haare der Welt, wenn sie im Essen auftauchen, wie mich der Manager gewarnt hatte) unter einem Haarnetz.
    Eigentlich sollte ich die Sandwiches und Salate in die Selbstbedienungsregale stellen, bevor sich die Türen zum Mittagessen öffneten, aber jetzt musste ich das unter den Blicken einer ungeduldigen Schlange tun, wodurch ich mich unbeholfen fühlte. Ich fiel wesentlich stärker auf als beim Einsammeln des schmutzigen Geschirrs, wenn ich meinen Wagen zwischen den Tischen durchschob. Dann waren alle auf ihr Essen und ihre Gespräche konzentriert. Jetzt sahen sie mich alle an.
    Ich dachte an das, was Beverly und Kay gesagt hatten, darüber, dass ich mir meine Chancen verdarb, mich unmöglich machte. Jetzt kam es mir so vor, als könnte das stimmen.
    Nachdem ich die Mensatische abgeräumt und saubergewischt hatte, zog ich wieder meine eigenen Sachen an und ging in die College-Bibliothek, um an meinem Essay zu arbeiten. Es war der Nachmittag, an dem ich keine Kurse hatte.
    Ein unterirdischer Tunnel führte von der Philosophischen Fakultät zur Bibliothek, und um den Eingang zu diesem Tunnel herum klebte viel Reklame für Filme und Restaurants, gebrauchte Fahrräder und Schreibmaschinen, auch für Theateraufführungen und Konzerte. Der Fachbereich Musik kündigte einen Liederabend an mit Vertonungen von Gedichten englischer Heimatdichter, für ein Datum, das bereits verstrichen war. Ich hatte diese Ankündigung schon früher gesehen und musste sie mir nicht durchlesen, um an die Namen Herrick, Housman

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