Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
sieben Jahren? Seit neun. Seit neun Jahren.«
Sie ließ sich nicht abbringen. »Und davor?«
»Was weiß ich? Davor? Davor. Des Menschen Leben, es ist wie Gras. Wird geschnitten und in den Ofen geworfen. Nun höre sich das einer an. Sobald ich mit dir zusammen bin, fange ich wieder an zu prahlen. Geschnitten und in den Ofen geworfen – das interessiert mich nicht. Ich lebe jeden Tag so, wie er kommt. Du würdest das nicht verstehen. Ich bin nicht in deiner Welt, du bist nicht in meiner. Weißt du, warum ich mich heute hier mit dir treffen wollte?«
»Nein. Keine Ahnung. Ich meine, ich dachte natürlich, vielleicht ist es an der Zeit …«
»Natürlich. Als ich vom Tod meines Vaters in der Zeitung las, dachte ich natürlich: So, wo ist das Geld? Ich dachte, sie wird’s mir sagen können.«
»Es ging an mich«, sagte Sally, mit vor Enttäuschung ausdrucksloser, aber beherrschter Stimme. »Erst einmal. Das Haus auch, falls es dich interessiert.«
»Das hatte ich mir fast gedacht. Gut so.«
»Wenn ich sterbe, an Peter und seine Jungen und an Savanna.«
»Sehr schön.«
»Er wusste nicht, ob du noch lebst oder nicht …«
»Du meinst, ich frage für mich selbst? Du hältst mich für so ein Schwein, das Geld für mich selbst zu wollen? Aber es war wirklich ein Fehler, daran zu denken, wofür ich es gebrauchen könnte. Zu denken, ererbtes Geld, klar, kann ich gebrauchen. Das ist die Versuchung. Jetzt bin ich froh, ich bin froh, dass ich es nicht kriege.«
»Ich könnte dir …«
»Aber das Problem ist, dieses Haus muss geräumt werden …«
»Ich könnte dir etwas leihen.«
»Leihen? Hier leihen wir uns nichts. Wir benutzen hier nicht das Leihsystem. Entschuldige, ich muss mich besser beherrschen. Hast du Hunger? Möchtest du etwas Suppe?«
»Nein, danke.«
Als er gegangen war, dachte sie daran, sich davonzustehlen. Falls sie eine Hintertür finden konnte, einen Weg, der nicht durch die Küche führte. Aber sie brachte es nicht fertig, denn das würde heißen, dass sie ihn nie wiedersehen würde. Und der Hinterhof eines solchen Hauses, vor dem Zeitalter der Automobile erbaut, würde keinen eigenen Zugang zur Straße haben.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis er zurückkam. Sie hatte ihre Uhr nicht umgebunden, mit dem Gedanken, dass eine Uhr in dem Leben, das er führte, fehl am Platz sein könnte, und hatte offenbar richtiggelegen. Wenigstens darin.
Er schien ein wenig überrascht oder irritiert zu sein, sie immer noch vorzufinden.
»Entschuldige. Ich musste etwas regeln. Und dann habe ich mit Marnie geredet, das beruhigt mich immer.«
»Du hast uns damals einen Brief geschrieben«, sagte Sally. »Das war das Letzte, was wir von dir gehört haben.«
»Ach, erinnere mich nicht daran.«
»Nein, es war ein guter Brief. Es war ein guter Versuch, zu erklären, was du damals dachtest.«
»Bitte. Erinnere mich nicht daran.«
»Du hast dir Gedanken über dein Leben gemacht …«
»Mein Leben, mein Leben, meinen Fortschritt, was ich alles in meinem elenden Ich entdecken konnte. Meinen Lebenszweck. Meine Scheiße. Meine Spiritualität. Meine Intellektualität. Es gibt keinen Innenkram, Sally. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich Sally nenne? Das kommt mir leichter über die Lippen. Es gibt nur das Außen, was du tust, jeden Augenblick deines Lebens. Seit ich das erkannt habe, bin ich glücklich.«
»Bist du das? Glücklich?«
»Sicher. Ich habe all diesen blöden Ich-Kram losgelassen. Ich denke: Wie kann ich helfen? Und das ist alles an Denken, was ich mir gestatte.«
»In der Gegenwart leben?«
»Mir ist egal, ob du mich für banal hältst. Mir ist egal, ob du mich auslachst.«
»Ich lache dich nicht …«
»Das ist mir egal. Hör zu. Wenn du meinst, dass ich hinter deinem Geld her bin, prima. Ich bin hinter deinem Geld her. Ich bin auch hinter dir her. Wünschst du dir nicht ein anderes Leben? Ich sage nicht, ich liebe dich, diese blöde Sprache benutze ich nicht. Oder ich will dich retten. Du weißt, dass du dich nur selbst retten kannst. Also worum geht es? Normalerweise versuche ich nicht, etwas mit Gerede zu erreichen. Normalerweise versuche ich, persönliche Beziehungen zu vermeiden. Ich meine, ich tue es. Ich vermeide sie.«
Beziehungen.
»Warum unterdrückst du ein Lächeln?«, fragte er. »Weil ich Beziehungen gesagt habe? Weil das ein abgedroschenes Wort ist? Ich mache nicht viel Umstände mit meinen Worten.«
Sally sagte: »Ich musste gerade an Jesus denken. ›Weib, was
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