Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
ich um dieses Thema herumschleiche –, es gab eine Zeit, bevor es nur ein Geräteschuppen wurde, als Leute darin wohnten. Nämlich ein Ehepaar namens die Bells, die Köchin-Haushälterin und Gärtner-Chauffeur bei meinen Großeltern waren. Mein Großvater besaß einen Packard, den er nie fahren lernte. Sowohl die Bells als auch der Packard waren zu meiner Zeit verschwunden, aber das Gebäude hieß immer noch das Bells-Nebenhaus.
In meiner Kindheit war das Bells-Nebenhaus ein paar Jahre lang an eine Frau namens Sharon Suttles vermietet. Sie wohnte darin mit ihrer Tochter Nancy. Sie war mit ihrem Mann in die Stadt gekommen, einem Arzt, der seine erste Praxis gründete und innerhalb eines Jahres an einer Blutvergiftung starb. Sie blieb mit ihrem kleinen Kind in der Stadt, ohne Geld und, wie es hieß, ohne Leute. Das muss bedeutet haben, ohne Leute, die ihr helfen konnten oder die bereit waren, sie aufzunehmen. Irgendwann fand sie eine Anstellung im Versicherungsbüro meines Vaters und zog in das Bells-Nebenhaus ein. Ich bin nicht sicher, wann das geschah. Ich habe keine Erinnerungen daran, wie sie einzogen, oder an das Häuschen, als es leer stand. Es war zu der Zeit altrosa angestrichen, und ich hielt das immer für Mrs Suttles’ Wahl, als hätte sie in keinem Haus leben können, das in irgendeiner anderen Farbe angestrichen war.
Ich nannte sie natürlich Mrs Suttles. Aber ich kannte ihren Vornamen, was mir wichtiger war als bei irgendeiner anderen erwachsenen Frau. Sharon war zu jener Zeit ein ungewöhnlicher Name. Außerdem war er mit einem Choral verbunden, den ich aus der Sonntagsschule kannte. Die Sonntagsschule durfte ich besuchen, denn dort herrschte ein strenges Reglement, und es gab keine Pause. Wir sangen Choräle, deren Text auf eine Leinwand projiziert wurde, und ich denke, dass die meisten von uns durch die Form, die wir vor uns sahen, eine Vorstellung von den Versen bekamen, noch bevor wir lesen lernten.
Wie lieblich rinnt Siloams Quell,
Wo weiß die Lilie blüht,
Rings leuchten Hügel sonnenhell,
Wo Sharons Rose glüht.
Ich kann nicht glauben, dass in einer Ecke der Leinwand tatsächlich eine Rose war, und doch sah ich eine, sehe ich eine, in verblasstem Rosa, deren Aura sich auf den Namen Sharon übertrug.
Ich will damit nicht sagen, dass ich mich in Sharon Suttles verliebte. Ich hatte mich, kaum dem Säuglingsalter entwachsen, in ein jungenhaftes Dienstmädchen namens Bessie verliebt, das mich in meinem Kinderwagen ausfuhr und mich auf der Schaukel im Park so hoch schwang, dass ich fast oben drüber sauste. Und einige Zeit später in eine Freundin meiner Mutter, die einen Pelzkragen am Mantel hatte und eine Stimme, die irgendwie damit in Verbindung zu stehen schien. Sharon Suttles war nicht auf diese Art zum Verlieben. Sie hatte keine Samtstimme und kein Interesse daran, dass ich meinen Spaß fand. Sie war hochgewachsen und eigentlich zu dünn, um irgendjemandes Mutter zu sein – es gab an ihr keine Rundungen. Ihre Haare hatten die Farbe von Sahnebonbons, braun mit goldenen Enden, und zur Zeit des Zweiten Weltkriegs trug sie immer noch einen Bubikopf. Ihr Lippenstift war hellrot und lackartig, so dass ihr Mund denen der Filmstars ähnelte, die ich auf Plakaten gesehen hatte, und im Haus trug sie meistens einen Kimono mit hellen Vögeln darauf – Störchen? –, deren Beine an ihre eigenen erinnerten. Sie verbrachte viel Zeit damit, auf dem Sofa zu liegen und zu rauchen, und manchmal, zu unserem oder ihrem eigenen Vergnügen, reckte sie diese Beine in die Höhe, eins nach dem anderen, und schickte federleichte Pantöffelchen auf die Reise. Wenn sie sich nicht über uns ärgerte, war ihre Stimme kehlig und gelangweilt, nicht unfreundlich, aber überhaupt nicht weise oder zärtlich oder ermahnend, ohne die Lautstärke, die Andeutung von Enttäuschung, die ich von einer Mutter erwartete.
Ihr Dummbeutel, so nannte sie uns.
»Macht, dass ihr hier rauskommt, und lasst mich in Ruhe, ihr Dummbeutel.«
Dabei lag sie schon auf dem Sofa mit einem Aschenbecher auf dem Bauch, während wir Nancys Spielzeugautos auf dem Fußboden herumflitzen ließen. Wie viel Ruhe wollte sie noch?
Sie und Nancy aßen eigenartige Speisen zu unregelmäßigen Zeiten, und wenn sie in die Küche ging, um sich einen Imbiss zurechtzumachen, kam sie nie mit Kakao oder Grahamkeksen für uns zurück. Andererseits war es Nancy nie verboten, Gemüsesuppe, dick wie Pudding, aus der Dose zu löffeln oder sich eine Handvoll
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