Zu viele Morde
Nachtwächter. Das Zyanid war schon schwieriger zu beschaffen.«
»Sie ist eine einfallsreiche Frau«, meinte Abe. »Aus einem Chemielabor?«
»Kein Gedanke. Zyanid ist in jedem Labor in der Liste registriert und muss in einem Safe aufbewahrt werden.«
»Hmh«, grunzte Corey. »Fachidioten bleiben Fachidioten, Carmine. Sie laufen mit dem Kopf in den Wolken herum und lassen den Safe offen stehen.«
Doug Thwaites würde hocherfreut sein. Der Richter hatte es sofort gewusst, dass Dr. Denbigh eine Betrügerin ist.
Er sah Dr. Denbigh erst wieder, als er am späten Nachmittag in den Verhörraum kam.
»Sind Sie sich Ihrer Rechte bewusst?«, fragte er.
»Ja, absolut.« Dr. Denbigh hatte ihre Fassung zurückgewonnen und sah wieder besser aus; eine der Polizistinnen hatte ihr die gewünschte Kleidung herausgesucht und es ihr gemeinsam mit ihrem Make-up gebracht. Und so wellten sich die prächtigen rotgoldenen Haare weich um ihr geschminktes Gesicht und über ihr streng geschnittenes Kleid.
»Wünschen Sie die Anwesenheit eines Anwaltes?«, fragte Carmine und bat die Polizistin mit einem Nicken, ihren Stuhl in die hintere Ecke zu bewegen.
»Noch nicht«, antwortete sie und gestikulierte dann irritiert in Richtung der Polizistin. »Muss das arme Mädel hier sein? Ich würde mich lieber mit Ihnen unter vier Augen unterhalten.«
»Tut mir leid, Ma’am, sie ist ein Anstandsdame, die sicherstellt, dass ich nichts Ungehöriges tue.«
»Sie sind mir ein Rätsel, Captain. Einmal sprechen Sie wie aus der Gosse und das nächste Mal wie ein gebildeter Mann.«
»Aber die Gossensprache ist etwas Wunderbares, Dr. Denbigh. Sie zeigt, dass Englisch eine Sprache ist, die sich immer weiterentwickelt.« Er setzte sich, schaltete das Aufnahmegerät ein und diktierte die Einzelheiten.
»Wir haben Ihr Versteck in dem Geheimfach in der Küche des Dekans gefunden, Dr. Denbigh.«
Die gelben Augen weiteten sich. »Versteck? Geheimfach? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Ihre Fingerabdrücke sagen da etwas anderes, Ma’am. Sie sind über den ganzen Inhalt des Beutels verstreut, genauso wie auf dem Rohr und der Tür. Wir haben Sie, Dr. Denbigh.«
Dr. Denbigh hörte nicht auf zu kämpfen, sondern änderte ihre Taktik. »Wenn sie meine Geschichte gehört haben, Captain, wird kein Geschworener dieser Welt meine Tat verurteilen.«
»Sie wollen ein Geschworenengericht? Das bedeutet, Sie plädieren auf nicht schuldig, aber Sie haben quasi gestanden. Ein Geständnis bedeutet, keine Geschworenen.«
»Ich habe doch keinen
Mord
gestanden! Es war Notwehr!«
Carmine beugte sich vor. »Dr. Denbigh, es war ein vorsätzliches Verbrechen. Sorgfältig geplant und ausgeführt. Vorsatz und Notwehr schließen sich aus.«
»Blödsinn!«, sagte sie und schnaubte vor Verachtung. »Die Angst um das eigene Leben, Sir, ruft bei Menschen unterschiedliche Reaktionen hervor, weil alle Menschen verschieden sind. Wäre ich eine geschlagene Hausfrau, hätte ich einen Hammer oder eine Axt benutzt. Aber ich bin eine Professorin der Universität Chubb, und mein Ehemann, die Quelle meiner Angst, war Dekan an derselben Institution. Natürlich habe ich gehofft, dass meine Beteiligung an seinem Tod unentdeckt bleibt, aber nur die Entdeckung macht mich noch nicht zu einer kaltblütigen Mörderin. Ich habe jeden Tag in Todesangst gelebt, da ich die einzige Frau war, die von Johns sexuellen Aktivitäten wusste. Wenn ich geplant habe, mein Leben zu retten, Captain, dann plante er, es zu beenden! Die Geschichte, die ich Ihnen direkt nach Johns Tod erzählt habe, war wahr, aber sie war nur die Spitze eines Berges schmutziger Details. Es gab sechs Versuche meines Ehemannes, mich umzubringen. Ein Autounfall, ein Skiunfall, drei Angriffe mit vergifteten Lebensmitteln und ein Jagdunfall, als wir in Maine waren. John liebte es, Rehe zu schießen und sie dann zu essen!«
Carmine starrte sie hingerissen an und dankte Gott, dass nicht alle Mörder so clever waren wie sie und so gut aussahen. Mit zweiunddreißig Jahren war sie in der Blüte ihres Lebens. »Ich hoffe, Sie können diese Mordversuche beweisen«, sagte er.
»Natürlich, ich habe Zeugen«, sagte sie kalt.
»Was hat Sie dazu gebracht, sein Leben mit einer Dosis Zyanid in einem Teebeutel zu beenden?«
»Eigentlich das Zyanid. Ich habe es in einem Regal im Gemeinschaftsraum der Erstsemester gefunden. Ich war auf der Suche nach einem meiner Bücher, von dem ich wusste, dass ein Erstsemester es sich ausgeliehen
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