Zu viele Morde
»Ich wünschte, ich könnte, aber ich muss zurück zu Erica.« Er stand auf und blickte sie niedergeschlagen an. »Ich wünschte, alles könnte so weitergehen, wie es war, aber das kann es nicht, oder?«
»So ist das Leben«, sagte Desdemona und lachte. »Klingt das nicht abgedroschen? Mach dir keine Gedanken, Myron. Es wird sich alles schon wieder beruhigen.«
»Aber das wird es nicht«, sagte sie später zu Carmine. »Wenn ich Erica doch nur mögen könnte. Aber das kann ich nicht. Sie ist so spröde, obwohl, damit könnte ich ja noch umgehen, wenn sie dabei nicht so kalt und abweisend wäre. Sie wird dem armen Myron das Herz brechen.«
»Vielleicht nicht«, meinte Carmine, den das gute Essen und Trinken optimistisch gestimmt hatten. »Ich glaube, er ist fasziniert von all den Dingen an ihr, die wir nicht mögen. Er istfünfzig Jahre alt und bereit für eine Hexe. Erica ist eine Phase.«
»Glaubst du wirklich?«
»Ja, tue ich.«
»Eigentlich hatte Sophia gesagt, sie sei zum Essen da und brächte zwei Freundinnen zum Übernachten mit.«
Bei Carmine flammte Ärger auf. »Es ist wahrscheinlich an der Zeit, dass ich mal wieder ein ernstes Wörtchen mit meiner Tochter rede«, sagte er.
»Nein, Carmine, tu’s nicht. Es wird wahrscheinlich einen guten Grund dafür geben. Ich bin ganz sicher«, sagte Desdemona.
Wie auf ein Stichwort kam Sophia zur Haustür hereingestürmt, die Augen weit aufgerissen und bleich im Gesicht. »Daddy!«, rief sie und lief auf ihn zu, »jemand hat mich im Physiklabor in der Abstellkammer eingeschlossen!«
Siehst du, was habe ich dir gesagt? bedeuteten Desdemonas Augen ihm, aber Carmine hielt Sophia ein Stück von sich weg und blickte sie an. Sie war etwas zerzaust, und ihre Panik war echt. »Weißt du, wie es passiert ist, Liebling?«, fragte er.
»Nein. Es hätte nicht passieren dürfen. Diese Kammer wird nie abgeschlossen!« Sie zitterte und lehnte sich an ihn. »Ich konnte jemanden draußen hin und her gehen hören und etwas, das auf den Boden geklopft hat. Daddy, ich weiß nicht, warum, aber ich bin sicher, dass er hinter mir her war. Ich hatte Aufräumdienst, und jeder hat gesehen, wie ich hin und her zum Wandschrank gegangen bin. Erst dachte ich, es wäre ein Witz, aber dann habe ich die Schritte gehört und diese seltsame Angst bekommen!«
»Ist er wieder weggegangen?«, fragte Carmine. »Wie lange warst du dort drinnen?«
»Ungefähr fünf Minuten. Ich wusste, dass er die Tür öffnenund mich angreifen würde, sowie es in der Schule ruhig geworden war, also bin ich durch das Mannloch in der Decke geklettert. Es führte zu dem Hauptdunstabzug, und ich bin endlos lange gekrochen, bis ich bei der Dunstabzugskammer des anderen Ende des Labors war. Die Lichter waren schon aus, aber draußen war es noch hell, und ich konnte ihn sehen – ein kleiner Kerl, der hinkte. Ich habe versucht, kein Geräusch zu machen, und bin irgendwie aus der Kammer runter auf den Boden gekrochen. Dann bin ich zur Tür an meinem Ende gekrochen und habe gewartet, bis er in die andere Richtung ging, habe die Tür einen Spalt geöffnet und mich durchgeschoben. Dann bin ich aufgestanden und gerannt!«
Erstaunlich, dachte Carmine, sie ist eindeutig meine Tochter. Gibt einen vollständigen Bericht ab, obwohl ihr der Schreck in den Gliedern sitzt. »Dann hast du es bis zu deinem Auto geschafft und bist hergefahren«, sagte er.
Sie starrte ihn verächtlich an. »
Daddy!
Wenn ich das getan hätte, wäre ich schon vor Ewigkeiten zu Hause gewesen. Nein, er muss die Tür von der Abstellkammer geöffnet haben und hat gemerkt, dass niemand mehr drin war. Ich bin gerannt und habe mich gerade rechtzeitig hinter den Forsythien versteckt – als er kam und genau auf mein Auto zuging. Also wusste ich, dass er hinter mir her war. Nicht irgendwem – hinter
mir
! Also habe ich mich geduckt und gewartet, bis es dunkel war, bin dann zur Route 133 geschlichen und habe mir ein Taxi genommen. Aber ich bin erst eingestiegen, nachdem ich mir den Fahrer genau angeschaut hatte. Er war schwarz, also wusste ich, dass ich sicher war. Er ist jetzt oben am Circle, Daddy. Ich hatte mein Portemonnaie nicht dabei, und die Fahrt war gigantisch teuer.«
Desdemona ging mit der Brieftasche in der Hand hinaus, während Carmine seine Tochter ins Wohnzimmer brachteund ihr eine Weinschorle einschenkte. »Das hast du gut gemacht, Kleine«, sagte Carmine und platzte fast vor Stolz.
Das und die Dankbarkeit, welche Macht auch immer auf Sophia
Weitere Kostenlose Bücher