Zu viele Morde
genug Sauerstoff vom Hämoglobin gelöst wurde, tritt der Tod ein. Wohingegen es mit Strychnin zwanzig, dreißig Minuten dauert, je nach Dosis. Norton hat eine riesige Dosis verabreicht bekommen, aber nur die Hälfte getrunken. Er war ein toter Mann, aber bis dahin dauerte es eine Weile. Erbrechen, Durchfall, starke Krämpfe – ich weiß nicht, wie weit er bei Bewusstsein war, aber seine Frau und die Kinder haben alles mitbekommen.«
»Willst du damit andeuten, dass das die Absicht des Mörders war?«
»Vielleicht«, sagte Carmine und hörte sich überrascht an.
»Wenn die Methode absichtlich gewählt wurde, um Nortons Frau und die Kinder zu quälen, eröffnet das eine ganz neue Perspektive, Carmine«, sagte der Commissioner gedankenvoll. »Vielleicht sollten wir uns die Familien der Opfer näher ansehen.«
»Wir werden jeden Stein erneut umdrehen«, versprach Carmine.
Mrs. Barbara Norton hatte über eine Woche Zeit gehabt, um sich zu beruhigen, aber Carmine nahm an, dass der Arzt ihr ein starkes Beruhigungsmittel verschrieben hatte. Sie hatte einen stieren Blick und ging, als bewege sie sich durch zähen Sirup.
»Es ist irgendein Irrer, dem er keinen Kredit gewährt hat«, sagte sie und reichte Carmine eine Tasse Kaffee. »Sie haben ja keine Vorstellung, Captain. Die Leute erwarten, dass die Bank ihnen Geld leiht, ohne die geringsten Sicherheiten. Die meisten Leuten geben irgendwann auf, aber die Irren nie. Ich erinnere mich an ein paar Verrückte, die unseren Briefkasten mit Hundekot gefüllt haben, Natronlauge in unseren Pool gekippt oder sogar in unsere Milch gepinkelt haben! Peter hat sie alle der Polizei von North Holloman gemeldet, also können Sie dort nach den Namen suchen.«
Sie war relativ mollig, fiel Carmine auf, aber ihre Rundlichkeit wirkte auf einige Männer sicher anziehend. Ihr Gesicht war hübsch – Grübchen, rosige Wangen und makellose Haut. Als die Kinder hereinkamen, unterdrückte er bei ihrem Anblick einen Seufzer: Das hier war eine Familie, deren Gene für Fettleibigkeit anfällig machten. Peter Norton, erinnerte ersich von der Obduktion, war sehr übergewichtig gewesen: fette Arme und Beine, aufgedunsene Hände und Füße. Laut Aussagen der Nachbarschaft hatte Mrs. Norton versucht, die Kalorienaufnahme der Familie zu reduzieren, aber ihr Mann wollte nichts davon hören. Er nahm die Kinder immer mit zu Friendly’s, wo er ihnen Parfaits und Milchshakes spendierte.
»Waren Ihre Freunde auch die Freunde Ihres Mannes, Mrs. Norton?«, fragte Carmine.
»Oh, sicher. Wir haben alles gemeinsam gemacht. Peter mochte es, wenn wir dieselben Freunde hatten.«
»Was haben Sie gemeinsam unternommen?«
»Dienstagabend haben wir Bowling gespielt. Donnerstagabend haben wir uns bei einem der Freunde zum Canasta getroffen. Samstagabend sind wir essen gegangen und danach ins Kino oder Theater.«
»Haben Sie einen Babysitter, Ma’am?«
»Ja, Imelda Gonzalez. Peter hat sie abgeholt und wieder nach Hause gefahren.«
»Sind Sie nie alleine ausgegangen?«
»Oh nein!«
»Wer sind Ihre Freunde?«
»Grace und Chuck Simmons, Hetty und Hank Sugarman, Mary und Ernie Tripodi. Chuck arbeitet bei der Holloman National, Hank ist ein Buchhalter mit einem Steuerbüro, und Ernie hat einen Sanitätshandel. Keine von uns Frauen arbeitet.«
»Sind Sie jemals woanders hingegangen, Mrs. Norton?«
Ihre Locken wippten, als sie nickte. »Oh, sicher. Wohltätigkeitsveranstaltungen, meistens, aber nicht regelmäßig. Zu Veranstaltungen von Cornucopia sind Peter und ich immer allein hingegangen – die Fourth National ist eine Tochter von Cornucopia. Ansonsten sind wir acht immer zusammen weggegangen.«Ihr Kinn fing an zu zittern. »Jetzt kann ich natürlich fast nirgendwo mehr hingehen. Unsere Freunde sind sehr nett, aber ohne Peter bin ich ein ziemlicher Langweiler. Er war so lustig, so voller Ideen.«
»Es wird sich alles finden, Mrs. Norton«, tröstete Carmine sie. »Sie werden viele neue Freunde finden.«
Besonders, dachte er insgeheim, bei dem Umfang von Peters Rente und dem, was die Versicherung zahlt. Unter der unterdrückten Hausfrau lauerte jemand, der entschlossen war, sich selbst zu retten.
Carmine wandte sich den Kindern zu, um eine Idee zu bekommen, was für eine Art Familie sie waren. Das kleine Mädchen, Marlene, war aggressiv und intelligent – wahrscheinlich in der Schule nicht besonders beliebt, dachte er. Der kleine Junge, Tommy, lebte offensichtlich nur für’s Essen. Als er nach den
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