Zu viele Morde
Keksen griff, die für Carmine dort standen, schlug seine Mutter böse die Hand fort, mit einem Ausdruck im Gesicht, bei dem sich das Kind sofort zurückzog.
»Und Sie gehen nie mal alleine aus?«, fragte Carmine.
»Nein, nie – Tommy, lass die Kekse in Ruhe!«
Es fiel ihm gerade so ein. »Frauenbewegung?«
»Ich denke wohl, eher nicht!«, blaffte sie und warf bockig den Kopf hoch. »Ausgerechnet so eine dumme, peinliche Sache! Wussten Sie, dass die tatsächlich versucht haben, mich zu bekehren? Ich weiß nicht mehr, wie die Frau hieß, aber ich habe sie zum Teufel gejagt.«
»Wann war das?«
»Weiß ich nicht mehr«, sagte Mrs. Norton. »Auf irgendeiner Veranstaltung, ist schon lange her.«
»Wie hat die Frau ausgesehen?«
»Genau das war es ja! Sie sah ganz
normal
aus. Rasierte Beine, Make-up, hübsche Kleidung. Eine Weile war ich ganzangetan, aber dann – dann hat sie ihre ganzen bösen Waffen gezückt. Das habe ich in der Schule gelernt, und es passte, Captain. Als ich ihr sagte, was ich von Emanzen halte, wurde sie bissig, und ich habe direkt zurückgebissen. Ich muss sie verschreckt haben – sie hat aufgegeben und ist gegangen.«
»War es eine Blondine? Eine Brünette? Eine Rothaarige?«
»Das weiß ich nicht mehr«, sagte Mrs. Norton und gähnte. »Ich bin müde.«
»Ich hab’s euch gesagt«, meinte Carmine zu Abe und Corey, »dieser Fall wimmelt nur so von Frauen. Aber wo zum Teufel passt der Feminismus mit ins Bild? Denn ich glaube, dass er irgendwie dazugehört, zumindest beim Tod von Peter Norton. Jemand oder etwas hat unseren Mörder beeinflusst, Mrs. Norton zu bestrafen, indem sie seinen Tod mit ansehen musste. Es hat gewirkt – sie steht immer noch unter starken Beruhigungsmitteln, aber sie hatte einen hellen Moment, in dem sie von einer Feministin sprach, die ›normal‹ aussah. Ich wünschte, ich wüsste mehr über die Nortons. Ich übersehe irgendetwas, aber ich komme nicht drauf, was es sein könnte. Vielleicht deshalb, weil ich nicht weiß, was für eine Frau Mrs. Norton eigentlich ist. Wie ein Psychiater, der einen Patienten übernimmt, der so zugedröhnt ist, dass er mit seiner Diagnose keinen Schritt weiterkommt.«
»Konntest du nicht mehr aus ihr herausbekommen?«, fragte Corey.
Carmine blickte Corey mitfühlend an; seine Frau ließ ihn nicht in Ruhe, sie keifte und nörgelte ununterbrochen. »Sie erinnert sich nur an das, was ihr passt«, sagte er. »Corey, du übernimmst den Hintergrund der Nortons. Ich will die Namen und Termine aller Veranstaltungen, an denen Mrs. Norton je teilgenommen hat – obwohl, nein, fünf Jahre reichen.«Er wandte sich an Abe. »Abe, du kümmerst dich um die Feministinnen. Nimm die gute Dr. Denbigh als Ausgangspunkt. Sie sitzt inmitten der Bewegung und passt auf Mrs. Nortons Beschreibung – behaarte Arme oder Beine gibt’s bei unserer Pauline nicht. Nebenbei bemerkt, sie hat mir erzählt, sie wäre frigide, aber das bezweifle ich sehr. Ich weiß, dass wir sie schon als Mörderin des Dekans haben, aber wir sollten doch einen Blick in ihre Vergangenheit werfen. Was war der Grund, dass sie ausgerechnet den dritten April für ihre Tat gewählt hat?«
»Du glaubst nicht, dass es nichts mit den anderen Morden zu tun hat?«, fragte Corey, der sich ärgerte, weil er nicht genügend Punkte sammelte.
»Sie ist die geborene Lügnerin. Wenn sie mal die Wahrheit sagt, dann indirekt.«
Er blickte ihnen hinterher, als sie das Büro verließen, stützte das Kinn auf die Hände und wollte nachdenken.
»Carmine?«
Überrascht hob er den Kopf; es passte gar nicht zu Delia, einen nachdenkenden Chef zu unterbrechen. »Ja?«
»Ich habe eine Idee«, sagte sie und blieb stehen.
»Aus deinem Mund klingt das vielversprechend. Lass hören.«
»Die Ablage ist auf dem neuesten Stand, und du hast mich in letzter Zeit nicht gerade mit Briefen eingedeckt«, sagte sie vorsichtig und blickte ihn mit Augen an, die ihn immer an eine Puppe erinnerten – groß und treuherzig.
»Das stimmt, Delia, das muss ich zugeben.«
»Nun – wäre es dir recht, wenn ich einer eigenen Vermutung nachgehe? Das ist doch der richtige Ausdruck, oder?«
»Für ein Bauchgefühl, ja. Setz dich doch bitte, Delia. Ich kann es nicht ertragen, wenn eine Frau steht, während ich selbst auf meinem Hintern hocke.«
Sie setzte sich, freudig errötet. »Weißt du, zwischen den meisten dieser Toten muss irgendeine Verbindung bestehen, oder? Das hast du immer gespürt, aber nichts ist ans Licht
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