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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anica Schriever
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Vater an. Sie ringt sichtlich mit der Fassung.
    »Er hat meinen Freund nur gespielt.« So! Nun ist es raus. Mögen die Spiele beginnen.
    Eine Weile herrscht betretenes Schweigen.
    Mama ist die Erste, die mühsam ihre Worte wiederfindet. »Aber, Miriam! Was ist denn nur in dich gefahren?« Blankes Entsetzen steht ihr ins Gesicht geschrieben. Wahrscheinlich überlegt sie zum tausendsten Mal, was bei meiner Erziehung schiefgelaufen ist.
    Mein Vater ist da weniger zurückhaltend. »Unsere Tochter hat offensichtlich den Verstand verloren!«
    »Keineswegs«, entgegne ich mit übertriebener Freundlichkeit, »ich habe es bloß satt, für alle Ewigkeit als das schwarze Schaf der Familie zu gelten, für das sich jeder schämt. Ich bin nun einmal nicht perfekt wie Eva. Oder Luisa. Damit müsst ihr euch leider abfinden. Ich bin ich. Mit allen Fehlern und Macken. Und ich habe keine Lust mehr, mir bei jeder Gelegenheit vorhalten lassen zu müssen, was für eine Enttäuschung ich bin. Miriam, die nichts im Leben auf die Reihe kriegt. Miriam, die beruflich eine Null ist. Miriam, die unfähig für jede längere Beziehung ist. Es steht mir bis zum Hals!«, rufe ich und bin selbst erschrocken, wie laut ich geworden bin.
    »Und da hast du dir gedacht, spiele ich meinen Eltern lieber eine Komödie vor«, höhnt mein Vater. Er hört gar nicht mehr auf, den Kopf zu schütteln.
    »Ja, weil ich wusste, dass ich mir andernfalls genau diese Vorwürfe hätte anhören dürfen. Kein Freund, keine Karriere, nichts. Versagt auf ganzer Linie. Darauf konnte ich verzichten. Also habe ich David gebeten, meinen Freund zu spielen, um ein einziges Mal nicht als Versagerin dazustehen, die von allen bemitleidet wird.«
    Mein Vater schenkt sich Wein nach und trinkt das Glas in einem Zug aus. »Unglaublich. Unglaublich! Wir sind ja einiges von dir gewohnt, aber das toppt alles bisher Dagewesene.«
    »Ich verstehe dich nicht, Miriam. Wirklich nicht«, schaltet sich meine Mutter seufzend ein, »uns zu belügen ist eine Sache, aber dass du David in solch eine unmögliche Lage bringst, ist unverantwortlich.«
    »Das lass mal meine Sorge sein!«
    »Merkst du eigentlich nichts?«
    »Hm?«
    Mama verdreht die Augen. »David hat offenkundig Gefühle für dich. Oder warum glaubst du, hat er dieses Spiel sonst mitgespielt?«
    »Quatsch!«
    Meine Mutter zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. Sie schweigt, aber ihr Blick spricht Bände.
    »Was soll das eigentlich heißen, du hast keine Karriere?«, hakt mein Vater misstrauisch nach. »Ich denke, du arbeitest bei der Zeitung in Hannover.«
    Auweia. Jetzt kommt der schwierigste Teil. Davor fürchte ich mich am meisten. »Nein, tue ich nicht.«
    »Nicht?«, kommt es von meiner Mutter. »Und was machst du stattdessen?«
    »Studieren.«
    »Wie bitte?« Mein Vater erstickt fast an diesen zwei Worten. Er starrt mich an, als ob ich ein pinkfarbenes Marsmännchen mit fünf Köpfen und zehn Händen und Füßen bin, das Cheri, Cheri Lady trällert.
    »Konrad, beruhige dich doch«, wirft meine Mutter zaghaft ein und greift nach seiner Hand. »Denk an deinen Blutdruck.«
    Der gutgemeinte Ratschlag stößt bei meinem Vater auf taube Ohren. Seine Gesichtsfarbe ist mittlerweile ins Dunkelrote übergegangen. »Jetzt ist das Maß voll!«, tobt er, die Hände zu Fäusten geballt, »ich habe weiß Gott für vieles Verständnis, aber was zu viel ist, ist zu viel! Die Bäckerei wolltest du nicht. In Ordnung. Damit konnte ich mich arrangieren, da ich der festen Überzeugung war, dass du deine eigenen Ziele verfolgst. Aber nun muss ich erfahren, dass du in der ganzen Zeit beruflich nichts vorzuweisen hast. Ich fasse es nicht! Hast du bisher überhaupt einen Gedanken an deine Zukunft verschwendet? Willst du die nächsten zwanzig Jahre studieren, oder wie stellst du dir das vor?«
    Trotzig knabbere ich an meiner Unterlippe. »Natürlich nicht! Aber das ist alles nicht so einfach.«
    Er schnaubt verächtlich. »Du hast immer noch den Kopf in den Wolken und glaubst, es wird sich irgendwie alles von selbst regeln. Miriam, du bist keine zehn mehr. Wach endlich auf! Du musst dein Leben in die Hand nehmen, das tut niemand für dich.«
    »Das ist mir klar! Darum werde ich mich in den nächsten Tagen für die Prüfungen anmelden.« Ich bin im ersten Moment selbst über meine Worte überrascht. Doch ich meine das völlig ernst. Sobald ich in Hannover bin, gehe ich zum Prüfungsamt. Keine Ausreden mehr. Keine Aufschiebungen mehr. Zeit, Nägel mit Köpfen zu

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