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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anica Schriever
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steht auf dem silbernen Schild.
    Ich schüttele nervös meine Arme aus, hole tief Luft und klopfe an. Einmal. Zweimal. Nachdem keine Reaktion von innen zu vernehmen ist, öffne ich die Tür einen Spaltbreit.
    Ein heilloses Chaos empfängt mich. In dem großzügig geschnittenen Raum sind überall Aktenordner, lose Seiten und Post-its verstreut. Auf dem Metallschreibtisch stapeln sich Ablageordner, Zeitschriften und Lexika, das Faxgerät summt. Vor dem Computer sitzt ein Mann mit verstrubbelten dunkelbraunen Haaren. Er beugt sich über seine Notizen, so dass sich das Hemd über seine ansehnlichen Schultern spannt. Laut fluchend rauft er sich die Haare.
    »Klopf, klopf.«
    Mit einem Ruck dreht er sich zu mir um. Die Schimpftirade bleibt ihm im Halse stecken. »Miriam?« Er mustert mich mit großen Augen.
    »Eigentlich wollte ich zu Oliver Wegener. Können Sie mir da weiterhelfen?«, erkundige ich mich amüsiert. Sein entsetzter Gesichtsausdruck ist göttlich.
    »Mensch, Miriam, lass den Unsinn!« Mit wenigen Schritten hat er die Distanz zwischen uns überwunden und schließt mich in die Arme. Mir entweicht ein befreiter Seufzer. Ich ziehe Olli zu mir herunter und atme tief diesen vertrauten Geruch ein. Es ist wie heimkommen.
    »Seit wann bist du wieder in Wismar?«, will Olli sofort wissen. Die Verblüffung steht ihm nach wie vor ins Gesicht geschrieben.
    »Seit knapp zwei Stunden.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dich je wieder hier zu sehen«, meint er, sich mit der Hand übers Kinn fahrend.
    Ich ziehe eine Grimasse. »Ich hätte nicht gedacht, dass du noch mit mir redest.«
    »Ich bin nicht nachtragend.«
    »Das stimmt.«
    »Wir waren jung und naiv. Da verliert man sich zwangsläufig aus den Augen.«
    »Kann sein«, antworte ich leise.
    Olli und ich kennen uns seit Sandkastentagen. Anfangs konnte ich ihn nicht ausstehen. Er zog regelmäßig an meinen geliebten Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und ärgerte mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Als er mich eines Tages eine »dumme Kuh« nannte, scheuerte ich ihm eine. Der Handabdruck verblasste nach einer Woche, unsere neue Freundschaft hielt. Die ganze Schulzeit über waren wir unzertrennlich. Wir teilten praktisch alles miteinander, sogar die gleichen Noten. Bei der Erinnerung an die verblüfften Gesichter unserer Lehrer muss ich lächeln, denn sie konnten uns nie nachweisen, dass wir voneinander abgeschrieben hatten.
    Nach dem Abitur trennten sich unsere Wege. Ich blieb in Wismar und begann die von meinem Vater sehnsüchtig angestrebte Bäckerlehre, Olli zog es zum Studium nach Leipzig. Während wir früher jeden Tag zusammenhockten, sahen wir uns nun höchstens einmal im Monat. Selbst diese Zusammenkünfte bekamen mit der Zeit einen merkwürdigen Beigeschmack. Wir wurden, ohne es zu merken, erwachsen und entwickelten uns weiter. Entfremdeten uns. Die Treffen blieben eines Tages ganz aus. Später auch die Telefonanrufe.
    »Tut mir leid, dass ich mich nicht mehr gemeldet habe.«
    »Daran trage ich mindestens ebenso viel Schuld wie du«, winkt Olli ab. »Das ist der Lauf der Dinge. Wir wollten unsere eigenen Erfahrungen machen, neue Leute kennenlernen und unsere Grenzen austesten. Dass dabei irgendetwas auf der Strecke bleibt, ist doch nur verständlich. Aber du bist und bleibst meine beste Freundin, egal was war. Wir sind durch dick und dünn gegangen, das verblasst nicht so leicht.«
    »Ich habe dich gar nicht verdient«, wispere ich mit tränenerstickter Stimme.
    »Wenn du mir den Boden vollheulst, wischst du ihn auf.« Olli grinst mich frech an. Die bedrückende Stimmung ist wie weggeblasen.
    Ich strecke ihm die Zunge heraus. »Blödmann!«
    Er lässt sich in seinen Drehstuhl plumpsen und nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche. »Ich liebe deine Komplimente.«
    »Die hast du vermisst.«
    »Auf jeden Fall.«
    Ich setze mich in einen der beiden Polsterstühle und stecke mir ein Schokoladentoffee in den Mund, das ich mir aus der randvoll gefüllten Schale vom Tisch gefischt habe. Wenn ich aufgeregt oder nervös bin, futtere ich immer Tonnen von Süßigkeiten in mich hinein. Dummerweise weiß das nicht nur meine Waage, sondern man sieht es mir leider auch an.
    »Nun, da diese schmalzige Begrüßung nach all den Jahren hinter uns liegt – was führt dich nach Wismar? In der Gegend warst du sicher nicht.« Olli verschränkt die Arme im Nacken und guckt mich erwartungsvoll an.
    »Nein«, bestätige ich und hole tief Luft. »Eigentlich wollte ich sogar nie mehr

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