Zuckerguss (German Edition)
ich in mein Zimmer und packte meinen Koffer. Keine Minute länger wollte ich in diesem Haus bleiben. »Wenn du jetzt gehst, glaube nicht, dass ich dich in Zukunft finanziell unterstütze, Fräulein.«
»Ist angekommen.« Ich warf die Tür hinter mir ins Schloss, ging zum Bahnhof und setzte mich in den nächsten Zug. Bloß weg von hier. Von meinen Eltern. Von ihren Erwartungen. Von dieser kleinstädtischen Enge.
Das ist jetzt fünf Jahre her. Seitdem herrscht zwischen meinen Eltern und mir Funkstille. Was wahrscheinlich auch besser so ist. Denn als mein Vater von Eva erfahren hat, dass ich angefangen hatte, Germanistik und Soziologie zu studieren, hat er das als persönlichen Affront verstanden. Was mich in meiner Entscheidung nur bestätigt hat, das Richtige getan zu haben. Daher werde ich einen Teufel tun und meine Prinzipien über Bord werfen, nur weil meine Mutter zufällig fünfundfünfzig Jahre alt wird. Das kann meine Schwester knicken. Nicht umsonst habe ich mir geschworen, nie wieder nach Hause zurückzukehren. Davon lasse ich mich nicht abbringen. Auch nicht von Eva. Basta!
»Meinst du nicht, dass es Zeit wird, sich mit Papa zu versöhnen?«
»Sag das nicht mir, sondern ihm.« Ich klinge wie ein bockiges Kind, dem der Sandeimer zur Strafe weggenommen wurde, aber das ist mir egal.
»Sei einmal die Klügere, Miriam«, beschwört mich Eva eindringlich. Fehlt nur noch, dass sie mich wie die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch mit ihren Augen hypnotisiert, damit sie ihren Willen kriegt. »Mach den ersten Schritt und fahr mit mir nach Wismar.«
»Nein!«
Eva seufzt. Mein Starrsinn geht ihr spürbar gegen den Strich. Ist das etwa meine Schuld? Ich habe mit dem Thema nicht angefangen!
»Wenn du es nicht Mama zuliebe tust, dann wenigstens um meinetwillen.« Meine Schwester ahnt, dass sie mit der Tour nicht weiterkommt, also versucht sie es mit der Schmeicheltour, klimpert mit den Wimpern und guckt mich lammfromm an. Ich hasse das. Sie weiß genau, dass ich ihr dann schwer etwas abschlagen kann. Diesmal bleibe ich allerdings hart. Es ist einfach zu viel vorgefallen, als dass ich mit fliegenden Fahnen nach Wismar zurückkehre. Und sei es nur für ein paar Stunden. In meiner alten Heimat fühle ich mich nicht mehr willkommen. Und bin es auch nicht.
»Eva, ich hab dich wirklich gern. Ich freue mich sehr, dass du hier bist«, versichere ich so überzeugend wie möglich, »aber das kannst du nicht von mir verlangen.«
»Über die Sache von damals ist längst Gras gewachsen. Falls es das ist, worüber du dir den Kopf zerbrichst«, wischt sie meine Einwände rigoros mit der Hand weg. »Papa hat sich beruhigt. Er freut sich bestimmt wahnsinnig, dich zu sehen. Jetzt, wo du die Uni beendet hast und Karriere machst.« Sie zwinkert mir fröhlich zu.
Ich rutsche tiefer in die Sitzpolster und versuche, meinen Kopf hinter der Tischplatte zu verbergen. Was mit einer Körpergröße von einem Meter siebzig nicht so leicht wie angenommen ist.
Eva beobachtet mich misstrauisch. Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen Verwirrung und Belustigung. Mir rauscht das Blut in den Ohren, und ich spüre, wie ich knallrot im Gesicht werde. Warum habe ich nicht meine vorlaute Klappe gehalten? Warum, warum, warum? Das habe ich jetzt davon! Wie heißt es doch so schön? Lügen haben kurze Beine. Meine schrumpfen gerade sekündlich.
»Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?«, fragt Eva mit skeptischer Miene und ihrem speziellen Röntgenblick.
» NEIN !« Die Antwort kommt mir viel zu hastig über die Lippen.
Eva lehnt sich in ihrem Stuhl vor und kneift die Augen zusammen. Sie studiert mich wie ein extrem seltenes Exemplar unter dem Mikroskop. »Du hast dein Studium abgebrochen.« Eine Feststellung, keine Frage.
Ich schüttele den Kopf. Zu mehr bin ich nicht imstande.
»Sondern?«
»Ich arbeite noch dran«, gestehe ich kleinlaut.
Meine Schwester reißt die Augen weit auf. Der Mund klappt ihr herunter. Ich erkenne, wie die Rädchen in ihrem Kopf diese Aussage zu verarbeiten beginnen. Zweifellos kommt gleich das Riesendonnerwetter.
»Du hast Tante Gloria gesagt, dass du fertig bist.«
»Ja.«
»Kannst du deutlicher werden? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!«
»Es ist mir rausgerutscht!«, rechtfertige ich mich mit zitternder Stimme.
»Wie bitte?«
»Tante Gloria hielt mir wieder einmal vor, was für eine Niete ich wäre. Fast dreißig, und nichts im Leben erreicht. ›Was soll nur später aus dir werden, Kind‹«, äffe
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