Zuckerguss (German Edition)
abgeholt.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Rein theoretisch könnte ich mich nun für die Magisterprüfung anmelden«, sage ich mit unverkennbarem Stolz in der Stimme.
»Bedeutet das, dass du erwachsen und pflichtbewusst wirst? Ich wäre untröstlich.« Theatralisch legt Moritz sich seine Hand auf die Brust und verdreht die Augen wie ein sterbender Schwan.
Lachend knuffe ich ihn in den Arm. Bei seinen Worten wird mir jedoch schlagartig bewusst, dass das Ende meines vermeintlich nicht enden wollenden Studiums tatsächlich naht. Daran hatte ich, zugegebenermaßen, bisher keinen einzigen Gedanken verschwendet.
»Wird ja auch Zeit, dass du endlich fertig wirst.«
»Das sagt der Richtige«, erwidere ich kopfschüttelnd. »Ich bin nach neun Semestern scheinfrei. Kannst du dasselbe von dir nach dreizehn Semestern BWL behaupten?«
Mein Mitbewohner hat nicht annähernd seine benötigten Scheine zusammen, davon bin ich felsenfest überzeugt. Wie soll das auch funktionieren, wenn er regelmäßig bis um eins im Bett liegt, weil er sich in der Nacht zuvor matratzentechnisch verausgabt hat? Ein besseres Leben als jetzt kann es für ihn sowieso nicht geben. Ab und an in der Uni auftauchen, nebenbei jede Menge Frauen aufreißen und daheim jemanden, der hinter ihm herräumt. Letzteres tue ich allerdings eher unfreiwillig. In allen haushaltstechnischen Belangen ist Moritz eine absolute Niete. Seit ich mit ihm zusammenwohne, hat er den Herd bestenfalls fünfmal benutzt. Aus gutem Grund. Selbst mit der Zubereitung einer Tütensuppe ist er heillos überfordert. Einmal habe ich ihn dabei erwischt, wie er eine Packung Fertig-Lasagne in den Backofen schob, ohne vorher die Aromaschutzfolie zu entfernen. Die Schweinerei hatte er beseitigen dürfen. Seitdem ist Moritz auf Pizzadienste umgestiegen, zu unserem beiderseitigen Vorteil. Er muss nicht kochen, ich nicht das Schlachtfeld beseitigen. Dafür trete ich ihm regelmäßig in den Hintern, damit er die leeren Kartons entsorgt. Ansonsten stünde bei uns im Flur eine moderne Version des schiefen Turms von Pisa.
»Autsch! Das kränkt mich jetzt«, meint er mit todernster Miene. »Wo ich augenscheinlich gewillt bin, mein Studium vor meinem dreißigsten Geburtstag abzuschließen.«
»Dann hast du noch« – ich nehme die Finger meiner linken Hand zum Zählen zur Hilfe – »genau acht Monate Zeit.«
Im letzten Augenblick kann ich meine Teetasse in Sicherheit bringen, bevor Moritz mir das Geschirrhandtuch an den Kopf wirft. Wir lachen beide und hören die Türklingel erst, als der Störenfried die Nerven verliert und seinen Finger nicht mehr vom Klingelknopf nimmt.
»Du gehst. Ich muss duschen.«
»Ich hab mich schon gewundert, was hier so streng riecht«, ziehe ich ihn auf, woraufhin Moritz mich in den Schwitzkasten nimmt und mich praktisch von oben bis unten durchkitzelt. Ich kreische los wie eine kaputte Kettensäge. Er lacht fies, und ich muss um Gnade winseln, damit er endlich damit aufhört.
Während Moritz im Bad verschwindet, hechte ich zur Tür. Schwungvoll reiße ich sie auf. Das vorbereitete Lächeln gefriert augenblicklich zu einer Grimasse.
»Eva?«
»Hallo, Schwesterherz.«
»Was machst du denn hier?«, platze ich heraus, ehe ich mich auf meine guten Manieren besinne und sie höflich hereinbitte. »Willst du etwas trinken?«
»Kaffee, wenn du hast.«
Ich fülle Wasser in die Maschine und zähle fünf Löffel Kaffee ab. Die schwarze Brühe von Moritz will ich ihr nicht zumuten.
Verstohlen schiele ich in Evas Richtung. Sie hat sich in einem der Rattansessel niedergelassen und sieht sich neugierig in der Küche um. Unter ihrem prüfenden Blick fühle ich mich reichlich unwohl und würde mich am liebsten in Luft auflösen. Meine Schwester wirkt komplett fehl am Platz. Sie trägt einen maßgeschneiderten schwarzen Hosenanzug, der bereits von weitem schreit: »Bitte nicht kleckern! Ich war teuer!« Der modische Kurzhaarschnitt, der ihr Gesicht formvollendet umrahmt, unterstreicht ihre elegante Erscheinung. In ihrer Gegenwart komme ich mir vor wie ein Bauerntrampel. Meine blonden Haare sind leicht strähnig, der letzte Haarschnitt ist lange her. Die Jeans sind ausgebeult, und der Schriftzug PROKRASTINATOR auf meinem grauen T-Shirt trägt nicht unbedingt zu meiner Seriosität bei.
Ich lehne mich gegen die Spüle, verschränke die Arme vor der Brust und harre der Dinge, die da kommen. Aus purer Sehnsucht ist Eva jedenfalls nicht hier, ich kenne meine Schwester.
»Was
Weitere Kostenlose Bücher