Zuckerguss (German Edition)
ich sie nach und wedele aufgeregt mit den Händen in der Luft umher. »Als sie dann mit ihren Lieblingsthemen Heiraten und Kinderkriegen anfing, ist mir die Sicherung durchgebrannt.«
»Und da hast du behauptet, dein Studium beendet zu haben«, schlussfolgert Eva in bester Sherlock-Holmes-Manier. »Mensch, Schwesterchen!«
»Immerhin gab sie Ruhe.« Zu meiner Verteidigung muss gesagt werden, dass Tante Gloria mir bei unserem letzten Telefongespräch wie so oft ihre furchtbar perfekte Tochter Luisa unter die Nase gerieben hat. Meine Cousine hat ihr Studium selbstredend in der vorgesehenen Zeit abgeschlossen. Mit Auszeichnung und allem Pipapo. Vor kurzem hat Luisa eine Stelle als Lehrerin in einer Grundschule angetreten, wo sie natürlich von Kollegen, Eltern und Kindern gleichermaßen vergöttert wird – sagt Tante Gloria. Und ich? Laut meiner Tante blamiere ich mit meinem Desinteresse für eine Karriere nicht nur meine Eltern, sondern auch sie. Das schwarze Schaf der Familie. Und damit ich das auch ja nicht vergesse, ruft sie mich zweimal im Jahr an. Angeblich weil sie sich um mich sorgt und sich bemüßigt fühlt, nachzufragen, ob ich noch lebe. Wenn ich schon keinen Kontakt zu meinen Eltern habe. In Wahrheit will sie bloß mit ihrer Tochter prahlen. Wenn es nach Gloria geht, bekommt Luisa in drei Jahren den Nobelpreis. »Und was hast du bis dahin erreicht, Miriam?«, hatte sie mich spitz gefragt. Ich hatte den Telefonhörer nicht aufgelegt. Leider.
Eva sitzt stumm da, die Sprache ist ihr abhandengekommen. Sie fährt sich nervös mit allen zehn Fingern durch die Haare und schluckt und schluckt und schluckt.
»Ach du dickes Ei!«, fasst sie die ganze verfahrene Kiste in vier niederschmetternden Worten zusammen.
Ich senke schuldbewusst den Kopf. »Wenn Papa erfährt, dass ich nach wie vor an der Uni rumhänge, flippt er aus.«
»Ich bin sicher, er wird dich verstehen, wenn du mit ihm redest. Er ist nicht aus Stein«, beteuert Eva, richtig zuversichtlich klingt sie allerdings nicht.
Ich kräusele die Lippen. Meine ach so vernünftige Schwester kann sich über mangelnde elterliche Liebe ja auch nicht beklagen. Sie hat einen gutbezahlten Job in einer Anwaltskanzlei und einen liebenden Ehemann zu Hause. Noch ein, zwei Kinderchen, und das Märchen ist perfekt. Da gibt es selbstverständlich keinen Grund zur Klage. Ganz anders sieht das bei mir aus. Abgebrochene Bäckerlehre, abgebrochenes BWL -Studium, zahlreiche Gelegenheitsjobs und neun Semester Germanistik und Soziologie. Abschluss ausstehend. Karriereknick auf der ganzen Linie.
»Kann ich nun mit deinem Besuch rechnen?«, drängelt Eva, was mich noch misstrauischer macht.
»Nein!« Das fehlt mir gerade noch.
»Mensch, Miriam. Stell dich nicht so an«, fordert meine Schwester energisch. »Irgendwann musst du dich mit Papa aussprechen.«
Ich verschränke trotzig die Arme vor der Brust. »Ich muss gar nichts!«
»Du benimmst dich wirklich kindisch.«
Bevor ich Eva eine gepfefferte Antwort geben kann, fügt sie triumphierend hinzu: »Du brauchst ja nicht alleine zu kommen, bring Stephan als seelischen Beistand mit.«
Mit großen Augen glotze ich meine Schwester an.
»Wir hätten sonst womöglich eine ungerade Zahl an Tischgästen. Du weißt, wie Mama in dieser Beziehung ist.«
Das kann jetzt nicht ihr Ernst sein! Nur weil meine Mutter glaubt, dass eine ungerade Anzahl an Tischgästen Unglück bringt, soll ich nun zu ihrem Geburtstag kommen? Mit Stephan? Meine Schwester hat sie ja wohl nicht mehr alle!
»Also, was ist jetzt?«, will Eva wissen und streicht sich einen nicht vorhandenen Fussel von ihrer Hose.
»Äh, also eigentlich …«, beginne ich zaghaft, hektisch nach Worten suchend, wie ich mich aus der Affäre ziehen kann, als Eva über beide Backen strahlt. Heiliger Bimbam! Hat sie das etwa als Zusage aufgefasst? Anscheinend, denn sie schließt mich stürmisch in die Arme. Ich ergebe mich seufzend in mein Schicksal. Was bleibt mir auch anderes übrig? Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus.
»Toll!«, jubelt Eva und klatscht freudig in die Hände. »Mama und Papa werden staunen, wenn du plötzlich vor der Tür stehst!«
Ich presse die Lippen aufeinander. Die werden noch was ganz anderes als erstaunt sein.
»In drei Tagen erwarte ich dich in Wismar, ansonsten gnade dir Gott!«, droht meine Schwester mit erhobenem Zeigefinger. Ich habe mich nie vor ihr gefürchtet, aber gerade rutscht mir das Herz in die Hose. Eva hat einen eisernen Willen. Und
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